Im Frühjahr und im Herbst geht regelmäßig die Angst unter uns Pferdebesitzern um, gerade wenn die Koppeln am Waldrand liegen oder von Bäumen umstanden sind. Noch bevor das erste Grün richtig sprießt, hat man schon die Ahornkeimlinge auf der Weide – und die Gefahr ist groß, dass dieses erste Grün natürlich gierig verschlungen wird und die Pferde an atypischer Weidemyopathie erkranken. Aber auch im Herbst, wenn die Samen durch den Wind bis zu 200m weit getragen werden, besteht die Gefahr der übermäßigen Samenaufnahme und folglich Erkrankung.
Vorsicht bei Bergahorn und Eschenahorn
Die gute Nachricht ist schonmal, dass nicht alle Bäume aus der Familie der Ahorne (Acer) das giftige Hypoglycin A enthalten. Problematisch sind nur der Bergahorn (Acer pseudoplatanus) und der Eschen-Ahorn (Acer negundo). Der Feldahorn (Acer campestre) und der Spitzahorn (Acer platanoides) sind dagegen unbedenklich, da ihre Keimlinge und Samen das Gift Hypoglycin A nicht enthalten. Also nicht bei jedem Ahorn an der Weide gleich in Panik verfallen. Bei den Keimlingen und Samen ist es manchmal schwierig zu unterscheiden, um welchen Ahorn es sich handelt, aber bei den Blättern kann man diese Unterscheidung sehr gut treffen.
Bei uns in den meisten Regionen besonders verbreitet ist der Spitzahorn, der aber glücklicherweise unbedenklich ist für Pferde. Außerdem gilt für Berg- und Eschenahorn: Giftig sind nur die Samen, Blütenstände und kleinen Keimlinge. Das Laub, der ausgewachsenen Bäume, das vielleicht über den Koppelzaun hinweg gefuttert wird oder im Herbst auf den Auslauf fällt, ist unproblematisch, sofern der Baum nicht von der Teerfleckenkrankheit befallen ist. Auch wenn der Sturm mal einen Ast abbricht und der auf dem Auslauf von den Pferden abgenagt wird, muss man sich keine Sorgen machen.
Es wird vermutet, dass die Teerfleckenkrankheit beim Bergahorn die Bildung von Hypoglycin A eventuell noch weiter anregt. Spitzahorn kann jedoch auch von der Teerfleckenkrankheit befallen werden, produziert aber trotzdem kein Hypoglycin A.
Falls die Koppel direkt an einen Garten angrenzt, sollte man zudem wissen, dass auch die Gartenzierpflanzen Fächer-Ahorn (acer palmatum), Silber-Ahorn (acer saccharinum) und Samt-Ahorn (acer velutinum) Hypoglycin A enthalten.
Gefährdete Weiden im Sommer nutzen
Um eine Vergiftung zu vermeiden, sollten von Berg- oder Eschenahorn betroffene Weiden nur im Hochsommer genutzt werden. Zu dieser Zeit sind die Keimlinge schon größer und verlieren damit ihre Giftigkeit. Außerdem fallen (noch) keine neuen Samen zu Boden, welche von den Pferden aufgenommen werden könnten. Und am wichtigsten: zu dieser Zeit steht normalerweise genügend Futter auf den Weiden, sodass Ahorn – egal in welcher Form – ohnehin nicht allzu attraktiv ist.
Sollte die Weide eher wenig Bewuchs haben, dann muss unbedingt Heu zusätzlich angeboten werden auf der Weide, um die Pferde von einer übermäßigen Aufnahme von giftigen Ahorn-Anteilen abzuhalten. Noch besser ist es, die Pferde von der Weide zu nehmen, sobald sie bis auf eine Handbreit Graslänge abgefressen ist und entweder auf den Paddock stellen oder umzuweiden auf eine Fläche mit ausreichendem Bewuchs. Auch das minimiert die Aufnahme von Ahornkeimlingen oder -samen.
Zusätzlich sollte natürlich sauberes Wasser auf der Weide zur Verfügung gestellt werden. Hier gilt es, die Tränken täglich zu kontrollieren und zu reinigen, wenn Richtung Spätsommer / Herbst die ersten Samen wieder fallen und im Wasser landen können. Da das Hypoglycin A wasserlöslich ist, reicht es nicht, die Samen nur rauszusammeln sondern es muss komplett gewechselt werden.
Aufnahmemenge und Symptome
Bei Ahorn gilt wie bei allen Vergiftungen: Die Dosis macht das Gift. Zu Vergiftungserscheinungen kommt es nach der Aufnahme von ungefähr 20g Samen, 50 Keimlingen, 150g Blütenständen oder 2 Litern Wasser, das mit Samen in Kontakt war.
Man muss also nicht in Panik verfallen, wenn das Pferd den einen oder anderen Samen mitgefressen hat, aber Ahornsamen fressen statt Gras oder Heu wird schnell ein Problem.
Die Aufnahme von Hypoglycin A führt dazu, dass der aerobe Energiestoffwechsel in den Zellen nicht mehr funktioniert, also die Energiegewinnung unter Sauerstoffverbrauch. Als Reaktion wechseln die Zellen in den anaeroben Stoffwechsel. Das führt letztlich zur Übersäuerung und damit dem Absterben der Zellen. Betroffen sind vor allem Typ-I Muskelzellen der Skelettmuskulatur, des Herzmuskels und der Atemmuskulatur.
Etwa 75% der Pferde sterben etwa ein bis drei Tage nach Auftreten der ersten Symptome.
Zu diesen gehören: allgemeine Schwäche, Schwitzen, erhöhte Atemfrequenz, rot-brauner Urin, Zittern, Herzprobleme und am Ende Festliegen. Jungpferde erkranken meist schwerer und haben geringere Überlebenschancen als ältere Pferde.
Im Blutbild sind die Muskelenzyme wie CK und LDH massiv erhöht, dazu kommen ein erhöhter Blutzuckerwert (Hyperglykämie) und ein erniedrigter Calciumspiegel (Hypocalcämie) Hypoglycin A bzw. seine Metabolite sind ebenfalls im Blut und im Urin nachweisbar, was aber keinen Einfluss auf die Prognose hat, sondern lediglich helfen kann die Diagnose zu bestätigen.
Schnelles und umsichtiges Handeln ist gefragt
Die wichtigste Maßnahme, um eine weitere Aufnahme von Hypoglycin A über den Darm zu vermeiden, ist die Gabe von Aktivkohle durch den Tierarzt. Sobald ein Pferd der Herde Symptome zeigt, die auf atypische Weidemyopathie hindeuten, sollten alle Pferde (!) der Herde, die auf derselben Weide standen, prophylaktisch mit Aktivkohle behandelt werden, unabhängig davon, ob sie ebenfalls Symptome zeigen oder nicht.
Eine weitere Maßnahme ist gegebenenfalls Infusionstherapie zur Unterstützung und Stabilisierung des Energie- und Flüssigkeitshaushaltes. Bedenken sollte man ebenfalls, dass Hypoglycin A in der Lage ist, bei tragenden Stuten durch die Plazenta in den Fötus zu gelangen und auch über das Colostrum weitergegeben werden kann. Damit kann es zum Absterben des Fötus und Abort oder zu Erkrankung des neugeborenen Fohlens kommen, weshalb man bei Zuchtstuten besonders umsichtig mit dem Weidemanagement sein sollte.
Vorsicht ist besser als Nachsicht
Da die meisten Vergiftungen immer dann auftreten, wenn die Pferde ohne Futteralternative auf einer Fläche stehen, ist die Prophylaxe gegen das Auftreten von Atypischer Weidemyopathie relativ eindeutig: Dafür sorgen, dass die Pferde immer ausreichend Heu oder Gras zur Verfügung haben. Ist die Weide bis auf etwa 10cm Bewuchslänge abgefressen, müssen die Pferde auf eine Weide mit ausreichend Aufwuchs gestellt werden. Bei Ahornbäumen auf oder rund um Auslauf oder Paddock Trails muss 24/7 Heu zur Verfügung stehen mit ausreichend vielen Fressplätzen, sodass kein Pferd aus der Not heraus Ahornsamen oder -keimlinge frisst.
Wenn man Pferde in der Herde hat, die alles fressen, was ihnen zwischen die Lippen kommt, dann kann man die Weiden in den Sommermonaten nutzen, wenn keine Samen fliegen und auch keine Keimlinge (mehr) da sind. Natürlich sollte man gewachsene kleine Bäume von der Koppel entfernen, denn jeder weitere Baum wirft irgendwann auch Samen auf die Koppel.
Entspannen kann man sich, wenn es sich bei den Ahornbäumen in der Nähe der Koppel nur um Feld- oder Spitzahorn handelt, denn von ihnen geht sowieso keine Gefahr aus.
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