Über Bierhefe für Pferde wird auf Social Media derzeit ausgiebig über ein Experiment diskutiert, dass an der Universität Halle durchgeführt wurde (unpublished data: Das Schreiben mit den Ergebnissen, erstellt von den durchführenden Wissenschaftlern an den Auftraggeber, liegt Sanoanimal.de vor).
Das Experiment
Bei diesem Experiment wurde mithilfe der Colon- Stimulationstechnik (COSITEC) die Verdauung im Pferdedarm unter Laborbedingungen simuliert und gezeigt, dass es bei Zugabe von Bierhefe zu keiner Ethanolbildung durch die Hefe kommt.
Hierzu wurde Enddarminhalt von zwei verschiedenen gesunden Pferden in jeweils zwei Durchläufen verwendet und 14 Tage unter stetiger Zugabe von Heu und Stärke zur Simulation einer normalen Darmpassage inkubiert. Gleichzeitig wurde getrocknete (inaktivierte) Bierhefe des Herstellers, der die Untersuchung beauftragt hat, dazugegeben. Während dieser Zeit konnte keine Ethanolbildung durch die Hefe gemessen werden.
Wo sind die Kontrollen?
Sicherlich ein schönes und vor allem aufwendiges Experiment, das zeigt, dass diese Bierhefe unter diesen Bedingungen keinen Alkohol produziert hat. Es fehlt jedoch die Positivkontrolle, also eine nicht inaktivierte Bierhefe, die in der Lage ist, Alkohol zu produzieren, um zu zeigen, dass der Versuchsaufbau durchaus geeignet ist, um die Produktion von Ethanol durch Hefe im Darm zu messen.
Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, die inaktive Bierhefe im Nährmedium über 14 Tage zu kultivieren und jeden Tag das Wachstum zu messen. Sollte sie tatsächlich komplett inaktiv sein, so wäre auch nach 14 Tagen keine lebende Hefe in diesem Ansatz und könnte folglich auch im Pferdedarm keinen Alkohol oder andere Stoffe produzieren.
In anderen Publikationen (1) wurde bei autoklavierter (also mit Hitze und Druck behandelter) Hefe trotzdem eine Alkoholproduktion gemessen. Die Werte lagen zwar unter 1%, aber die Untersuchung zeigt, dass auch diese Hefe nicht komplett inaktiv war!
Darüber hinaus wurde auch nicht untersucht, inwieweit sich die Zusammensetzung des Mikrobioms innerhalb des Versuchsaufbaus gegebenenfalls verändert. Hier wäre zunächst zu belegen, dass durch den gewählten Ansatz das Mikrobiom, das von den Pferden stammte, auch durch die „Fütterung“ des Systems mit Heu und Stärke stabil bleibt oder in welche Richtung es sich verschiebt und dann stabilisiert.
Dann hätte man im nächsten Schritt die Bierhefe zusetzen und untersuchen müssen, ob das Mikrobiom stabil bleibt, oder sich verändert und wenn ja, in welcher Weise. Auch diese Kontrolle fehlt leider komplett.
Eine Veränderung des Mikrobioms durch Bierhefe kann aber ebenso dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit des Pferdes haben wie die Produktion von Alkohol und deshalb darf dieser Versuch vor einer Empfehlung zur Fütterung eines solchen Produkts auf keinen Fall fehlen. (2,3).
Alkohol im Pferdedarm durch Bierhefe
Das „Autobrewery Syndrome“, auf das dieser Versuch anspielt, ist auch bei Menschen sehr selten, sonst wären vermutlich alle Biertrinker im Dauerdelierium. Oftmals spielen bei betroffenen Menschen weitere Faktoren eine Rolle, wie Diabetes Typ II / Insulinresistenz oder andere Erkrankungen, von denen man heute bereits weiß, dass sie ebenfalls durch eine falsche Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflusst werden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der Nutzung des Darminhaltes eines gesunden Pferdes bei nur 2×2 Versuchen die Ethanolproduktion durch die Hefe zu messen, ist also nicht sehr groß.
Hier wären andere Versuchsanordnungen deutlich besser geeignet gewesen.
Aktiv oder inaktiv?
Entscheidend bei dieser ganzen Diskussion ist aber doch, wie der Pferdebesitzer überhaupt unterscheiden kann, ob die von ihm – in gutem Glauben gekaufte – Hefe tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, zu wachsen. Und was dann im Mikrobiom seines Pferdes passiert, wenn sie eben doch nicht zu 100% tot ist. Insbesondere, wenn vielleicht bereits Dysbiosen (Fehlgärungen) oder Vorerkrankungen des Pferdes wie Insulinresistenz vorliegen.
Denn ein lebender Organismus (in vivo) ist immer noch etwas anderes als ein in vitro Versuchsaufbau, also Untersuchungsmodelle außerhalb des Körpers. Es fehlt allein schon die Schleimhaut, die für eine Ansiedelung mit Hefen wichtig sein könnte.
Genau wie bei einer vermehrten Pektinfütterung, könnte es durch Bierhefefütterung durchaus zu einer Verschiebung des Mikrobioms kommen.
Denn selbst tote Hefezellen können einen Einfluss auf die Population von Mikroorganismen im Dickdarm haben. Wenn sie als Nährstoff für eine Mikroorganismenart dienen, die sich durch jetzt üppig zur Verfügung stehendes Futter übermäßig vermehren kann, führt das möglicherweise zu Verschiebungen in der Gesamtpopulation und kann wichtige Symbionten verdrängen.
Und hier sind dann wieder besonders die Pferde betroffen, die eben nicht gesund sind, sondern sowieso schon unter diversen Stoffwechselproblemen und Krankheiten leiden: Genau jene Pferdebesitzer greifen dann, auf der Suche nach Linderung der Symptomatik zur Bierhefe. Womöglich werden sie genau damit die (Darm-)Gesundheit ihres Pferdes nicht verbessern.
Fazit
Sanoanimal begrüßt es natürlich, dass endlich einmal genauere Untersuchungen zu den Auswirkungen der Bierhefefütterung auf die Gesundheit des Pferdes durchgeführt werden.
Allerdings ist noch ein weiter Weg zu gehen und das Thema muss durch sauber aufgesetzte Untersuchungen mit passenden Kontrollgruppen von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, bevor man sicher sagen kann, in welchen Fällen welche Bierhefen eventuell ein geeignetes Zusatzfutter darstellen.
Wer mehr zum Thema Bierhefe-Fütterung wissen möchte, kann hier weiterlesen: Bierhefe in der Pferdefütterung
Quellen:
- 1. Breves, G., Faul, K., Schröder, B., Holst, H., Caspary, W. F., & Stein, J. (2000). Application of the colon-simulation technique for studying the effects of Saccharomyces boulardii on basic parameters of porcine cecal microbial metabolism disturbed by clindamycin. Digestion, 61(3), 193-200.
- 2. Oeztuerk, H. (2009). Effects of live and autoclaved yeast cultures on ruminal fermentation in vitro. Journal of Animal and Feed Sciences, 18(1), 142-150.
- 3. Sun, C., Fu, D., Lu, H., Zhang, J., Zheng, X., & Yu, T. (2018). Autoclaved yeast enhances the resistance against Penicillium expansum in postharvest pear fruit and its possible mechanisms of action. Biological control, 119, 51-58.
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