Der eine ist zu dünn und nimmt nicht zu, trotz großem Futterangebot. Der andere ist zu dick und nimmt nicht ab, obwohl alles schon rationiert wurde.
Hat man ein Pferd mit so einem Problem, findet man sich wieder in einem Dickicht von Zusatzfuttermitteln, die alle das Versprechen liefern, dass damit alles gut wird.
Wieviel einem Pferd täglich an Nährstoffen zugeführt werden sollte ist von vielen Faktoren abhängig. Zunächst einmal muss der Ernährungszustand des Pferdes ermittelt werden.
Hier gibt es schon die ersten Stolperfallen: ein dicker Bauch hat beim Pferd nicht – wie beim Menschen – etwas mit eingelagertem Fettgewebe zu tun, sondern kann durchaus einfach auf fehlende Bauchmuskulatur oder Blähungen hinweisen.
Aber auch an den für Fetteinlagerung typischen Stellen muss genau hingeschaut werden, ob es sich tatsächlich um Fett oder nur um eingelagertes Wasser (Lymphe) handelt. Denn Fett und Lymphe haben ganz unterschiedliche Ursachen und müssen daher auch von der „Diätfütterung“ ganz anders angegangen werden.
Body Condition Index
Um den Ernährungszustand seines Pferdes zu ermitteln, kann man den Body Condition Index (BCI) für Pferde zu Rate ziehen. Noch einfacher geht es mit der Sanoanimal App (erhältlich für MacOS und Android). Die App hilft einem, den Gewichtszustand realistisch einzuschätzen und unterscheidet – im Gegensatz zum Body Condition Score BCS – auch zwischen Muskeln, Fett- und Lympheinlagerungen. Wenn man das Ergebnis gespeichert hat, kann man auf diese Weise auch die Fortschritte beim Ernährungszustand sehen.
Je nachdem, welche Angaben man aus der App erhält oder auch per Auge ermittelt hat, muss man im besten Fall nichts an der Fütterung ändern oder aber entsprechend Kalorien bzw. Nährstoffen zuführen oder eben weglassen.
Das Training im Auge behalten
Der nächste Schritt besteht nun daraus, ganz objektiv die tatsächliche Arbeitsleistung seines Pferdes zu ermitteln. Viele Freizeitpferde sind tatsächlich nicht über dem Bedarf eines Pferdes in Erhaltung, das nur die Energie zum Lebenserhalt benötigt. Tatsächlich wird leichte Arbeit definiert durch 30 Minuten Schritt, 20 Minuten Trab und 10 Minuten Galopp täglich! Das ist schon eine ganze Menge und gerade für die Rationsberechnung und den tatsächlichen Mehrbedarf sollte das doch sehr realistisch beurteilt werden – zum Wohle des Pferdes. Es hilft, mal vier Wochen lang mit einer Stoppuhr zu reiten und Tagebuch zu führen, wie viel das Pferd tatsächlich arbeitet. Selbst viele Pferde, die von ihren liebenden Besitzern als „Sportpferde“ bezeichnet werden, kommen kaum über den Erhaltungsbedarf hinaus.
Den Energiebedarf ermitteln
Meistens können Pferde ihren Energiebedarf allein aus Heu oder Gras decken. Schauen wir uns aber erst einmal den Energiebedarf generell an. Hier wird unterschieden zwischen verdaulicher Energie (DE, digestable energy), die in MJ DE angegeben wird, und metabolisierbarer Energie (ME, metabolizable energy), die in MJ ME angegeben wird. MJ steht dabei immer für Megajoule als Energieeinheit, ist also nicht mit unseren Kilokalorien (kcal) zu verwechseln.
Die Energie, die der Körper aus einem Futtermittel ziehen kann, ist die verdauliche Energie (DE). Sie errechnet sich – vereinfacht gesagt – aus der Menge an Energie, die vorne ins Pferd reingefüttert wird minus der Menge an Energie, die hinten wieder aus dem Pferd rauskommt. Die Energie, die dem Pferd tatsächlich zur Verfügung steht, ist die metabolisierbare Energie (ME). Der Unterschied zwischen DE und ME kommt dadurch zustande, dass z.B. das Mikrobiom, also die Bakterien des Dickdarms, auch einen Teil der Energie aus der Nahrung verbrauchen. Diese steht logischerweise dem Pferd nicht als Energie zur Verfügung, daher fällt der Wert für DE immer höher aus als der für ME.
Für die Berechnung der Futtermenge muss ich also schauen, ob die gelieferte Energie des Futtermittels als DE oder ME angegeben ist. Berechnet wird die ME, indem ich die Körpermasse hoch 0,75 nehme und dann mit dem Energiebedarf pro kg Körpergewicht (KM) multipliziere.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass unterschiedliche Rassen auch einen unterschiedlichen Energiebedarf haben. Für Warmblüter nimmt man im Erhaltungsbedarf einen Wert von 0,52 MJ/kg KM0,75. Für ein Pferd von 600kg wäre die KM0,75 121kg, das multipliziert mit 0,52 MJ/kg ergibt einen Energiebedarf von 63 MJ ME pro Tag für dieses Pferd.
Für Ponys wird ein Wert von 0,4MJ/kg KM0,75 und für Vollblüter von 0,64 MJ/kg KM0,75 angenommen. Ponys sind also nicht ohne Grund „leichtfuttrig“, ihr Stoffwechsel ist ausgesprochen energiesparend, während Vollblüter wahre „Spritfresser“ sind und mehr Energie benötigen, vor allem im Training.
Die verdauliche Energie berechnet sich aus der Körpermasse hoch 0,75 multipliziert mit 0,6MJ (alle Werte laut GfE 2014).
Füttert man 2kg Heu/100kg KM pro Tag ist der Erhaltungsbedarf bei weitem gedeckt (7,1 ME und 8,5 DE/kg Heu¸ Mittelwerte Heuernte 2020, Quelle LUFA)
Vor allem wenn die Pferde gearbeitet werden, muss ausreichend Energie zur Verfügung stehen. Aber selbst bei leichter Arbeit ist in der Regel der Energiebedarf über das Heu gedeckt, vor allem wenn die Pferde Heu ad libitum haben und entsprechend bei Bedarf etwas mehr Heu aufnehmen können. Das macht sich im Heuverbrauch bemerkbar, hier liegen Pferde üblicherweise bei 2-3% ihres Körpergewichts (=2-3kg Heu / 100kg KM).
Bei leichter Arbeit kann man ungefähr den Energiebedarf an metabolisierbarer Energie mal 1,25 nehmen, bei mittlerer Arbeit mal 1,5, bei anspruchsvoller Arbeit mal 1,75, bei schwerer oder sehr schwerer Arbeit mal 2 beziehungsweise mal 2,5.
Da die Gehalte an verdaulicher oder metabolisierbare Energie im Heu immer stark schwanken, hilft es, hier eine Heuanalyse durchzuführen. Dies sollte immer der erste Schritt sein, bevor man Zusatzfutter zur Energieversorgung einsetzt, denn es kann unterschiedliche Gründe haben, warum ein Pferd die in seinem Heu rechnerisch enthaltene Energie nicht voll metabolisieren kann. Bestätigt sich der Verdacht, dass das Heu zu wenig Energie liefert, sollte man den Energiegehalt der Ration anpassen.
Trainiert man Pferde über den Energiegehalt ihrer Raufutterration hinaus, weichen sie auf Eiweiße als sekundär-Energiequelle aus. Möchte man also etwas mehr Energie zuführen, hat sich die Fütterung von Luzerne oder Esparsette bewährt, die gleichzeitig auch noch Lieferanten von sehr hochwertigem Eiweiß sind.
Da Eiweiß (Protein) nicht gleich Eiweiß ist, sind hier vor allem die Gehalte an Lysin, Methionin und Threonin ausschlaggebend. Daher ist man mit der Fütterung von Luzerne oder Esparsette gut beraten.
Dürfen die Pferde auf die Weide ist in den meisten Fällen die Versorgung mit Protein und auch mit metabolisierbarer Energie problemlos gesichert. Gras liefert ungefähr 1,7 bis 1,8 Megajoule pro Kilogramm metabolisierbare Energie. Ein Pferd mit 500kg frisst zwischen 40 und 50kg Gras pro Tag, wenn die Weide nicht zeitlich limitiert wird oder ein Maulkorb die Futteraufnahme einschränkt und ausreichend Bewuchs zur Verfügung steht. Diese 40 – 50 kg entsprechen ungefähr 1,5kg Trockensubstanz an Futter pro 100kg KM, da das Gras nur einen Trockensubstanzgehalt zwischen 15 und 20 % hat. Bei der Weidehaltung muss berücksichtigt werden, dass das junge Gras im Frühjahr deutlich mehr Protein hat, als überständiges Gras später im Jahr.
Wird die Aufnahme von Gras wie oben beschrieben limitiert, ist also unbedingt eine Heuzufütterung nötig, da das Pferd Cellulose und Hemicellulose für seine primäre Energiegewinnung benötigt.
Stroh besteht hauptsächlich aus Lignin, damit kann sich das Pferd zwar prima die Dickdarmperistaltik einstellen, aber als ausschließliches Futtermittel bei limitierter Grasaufnahme ist es nicht geeignet, da Lignin kaum verdaut werden kann. Fressen die Pferde zuviel davon, weil sie ihren Energiebedarf damit decken wollen, kann es zu Verstopfungskoliken kommen.
Gleiches wie für den Energiegehalt und den Proteingehalt gilt auch für Mineralien und Vitamine. In der Regel ist das meiste ausreichend vorhanden und oft wird mehr über- als unterversorgt. Da die Gehalte im Grundfutter aber immer schwanken, empfiehlt es sich, zumindest kurweise ein Mineralfutter zuzufüttern, um eventuelle Mängel im Raufutter auszugleichen.
Die oben genannten Werte sind durchweg theoretisch errechnete Werte für ein „Durchschnittspferd“.
In der Praxis müssen natürlich immer auch das Alter des Pferdes, die Haltungsbedingungen und vor allem auch die Futterverwertung des einzelnen Tieres berücksichtigt und die Ration gegebenenfalls angepasst werden.
Deshalb gilt nach wie vor: Das Auge ist der beste Futtermeister!
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