Das Wichtigste in Kürze:
- Bei der Fütterung von organischem Selen in Form von Selenomethionin kann der sogenannte Rebound-Effekt auftreten: Lange nach dem Absetzen steigt der Selenwert im Blutplasma plötzlich an.
- Selenomethionin wird vom Körper langsamer abgebaut und vor allem in körpereigene Eiweiße eingebaut, die das Selen langfristig speichern. Im Gegensatz dazu wird Natriumselenit schneller aufgenommen und wieder ausgeschieden.
- Wenn die Eiweiße, die Selenomethionin enthalten, abgebaut werden, gibt der Körper das Selen langsam wieder ins Blut ab. Dadurch kann der Selenwert im Plasma auch nach dem Fütterungsstopp noch ansteigen.
- Zu viel Selen kann die Bindung von Schwefel stören, was zu brüchigen Hufen, schlechtem Fell und chronischem Husten führen kann. Auch das Risiko für Insulinresistenz, und in Folge Hufrehe oder Übergewicht, kann steigen.
- Um eine Überladung des Körpers mit Selen zu vermeiden, ist Natriumselenit als Futterzusatz besser geeignet als Selenomethionin.
Was ist der Rebound-Effekt bei Selen?
Den Jojoeffekt bei Diäten kennt vermutlich jeder: man versucht abzunehmen und sobald man sich wieder normal ernährt, ist das Gewicht schneller wieder da, als man schauen kann. So ähnlich ist es bei der Zufütterung von Selen als Selenomethionin.
Man hat es eigentlich längst aufgehört zu füttern und auf einmal steigen die Selenwerte im Blutplasma. Ein sogenannter Rebound-Effekt. Warum das so ist, schauen wir uns in diesem Artikel näher an.
Unterschied zwischen Selenomethionin und Natriumselenit
Selenomethionin wird gerne Pferden gefüttert, die einen geringen Selenwert im Plasma zeigen. Selenomethionin wird dabei als organische Form der Selenzufuhr beworben. Organisches Selen wird angeblich besser vom Körper aufgenommen als anorganische Formen. Das stimmt nur bedingt, da Natriumselenit, eine anorganische Form, sehr viel schneller vom Körper aufgenommen wird, aber auch schneller wieder ausgeschieden werden kann. Das organische Selenomethionin wird tatsächlich langsamer aufgenommen.
Was bedeutet „organisch“ und „anorganisch“ bei Selen?
Denn die Begriffe „organisch“ und „anorganisch“ haben nichts mit der Herkunft oder der Verwertbarkeit für die Zellen zu tun und auch nicht damit, ob etwas besser oder schlechter für den Stoffwechsel oder gesünder für das Pferd ist.
Organisch ist lediglich eine chemische Bezeichnung für diese Art der Selenverbindung: Das Selen ist an ein organisches Molekül, nämlich die Aminosäure Methionin, gebunden. Das anorganische Natriumselenit ist ein Selen, welches an anorganisches Natrium gebunden ist, das wir auch in Kochsalz (Natriumchlorid) finden.
Selenverbindungen in der Natur
Selen findet sich in Pflanzen in verschiedenen organischen und anorganischen Formen, wobei hier die organische Hauptform in Gras Selenomethionin ist. In Blättern liegt es eher als anorganisches Selenat vor. Aber es gibt auch noch viele weitere Formen, wie in der Abbildung über die Selenaufnahme bei Pflanzen dargestellt ist.
Selenstoffwechsel in Pflanzen, (A) und (B) Aufnahme von Selenit (SeO32-) und Selenat (SeO42-) aus dem Boden, (C) findet nur in Pflanzen statt, die Selen akkumulieren.
Quelle: Bodnar M, Konieczka P, Namiesnik J. The properties, functions, and use of selenium compounds in living organisms. J Environ Sci Health C Environ Carcinog Ecotoxicol Rev. 2012;30(3):225-52.
Aufnahme und Speicherung von Selen im Körper
Selen wird vom Pferd also nicht ausschließlich als Selenomethionin aufgenommen, da es auch in der Natur in unterschiedlichen Formen vorliegt.
Kommt Selen nun in den Körper, wird es im Gewebe in verschiedenen Pools gespeichert und dort auch nach verschieden langer Zeit wieder freigesetzt. Und hier kommen wir jetzt zum Rebound-Effekt: Selenomethionin wird vom Körper – im Gegensatz zu Natriumselenit – auch unspezifisch in Proteine eingebaut, sozusagen für schlechte Zeiten.
In einer Studie am Menschen konnte gezeigt werden, dass nach 2 Jahren Selenomethionin Einnahme nicht gleich viel Selen ausgeschieden, wie eingenommen wurde. Der Selenanteil im Körper hat sich also erhöht. Das aufgenommene Selen ist in den Eiweißen des Körpers „versteckt“.
Freisetzung von Selenomethionin aus gespeicherten Proteinen
Da Natriumselenit und Selenomethionin verschiedene Pools im Gewebe bedienen, kommt es nach Absetzen von Selenomethionin auch zu einer Umverteilung der Pools beziehungsweise irgendwann zu einem Anstieg im Plasma des im Übermaß vorhandenen Selenomethionins, da es auch aus im natürlichen Rhythmus abgebauten Proteinen wieder freigesetzt wird. Im Plasma wird aber nun wiederum mehr Selenomethionin rückresorbiert, als es bei Natriumselenit der Fall ist und der ganze Kreislauf beginnt von vorn, was natürlich von Vorteil ist, wenn wenig Selen bzw. Selenomethionin in der Nahrung vorkommt – wie es bei den Ernährungsbedingungen von Wildpferden der Fall ist. Sie sind an Lebensräume mit selenarmen Böden ideal angepasst.
Risiken einer Überdosierung von Selenomethionin
Füttert man es allerdings im Übermaß (beispielsweise als Selen-Ergänzung wegen des niedrigen Werts im Blutbild) oder über längere Zeiträume (zum Beispiel als Mineralfutter), können diese Regelmechanismen vom Körper nicht einfach ausgeschaltet werden und es kommt zu einer Überflutung des Körpers mit Selen.
Schematische Darstellung der Verteilung des Selens im Körper für den Menschen.
Quelle: Patterson BH, Combs GF Jr, Taylor PR, Patterson KY, Moler JE, Wastney ME. Selenium Kinetics in Humans Change Following 2 Years of Supplementation With Selenomethionine. Front Endocrinol (Lausanne). 2021 Mar 29;12:621687
Ausscheidungszeit und Langzeitwirkung im Vergleich
Bei Menschen wird Selenomethionin aus dem größten Selen-Pool („Tissue 3“) nach durchschnittlich 430 Tagen (also etwa 1,5 Jahren!), Natriumselenit wird hingegen schon nach durchschnittlich 213 Tagen wieder ausgeschieden. Und genau das sieht man dann im Blutbild. Zu einem Zeitpunkt an dem man schon lange kein Selenomethionin mehr füttert, steigen auf einmal die Plasmawerte für Selen. Dazu kommt noch, das im Plasma mehr Selenomethionin als Natriumselenit gemessen wird, was auch mit der unterschiedlichen Zuführung zu den Pools zu tun hat, wodurch der Blutplasma-Wert komplett untauglich ist, um die Selenversorgung des Körpers zu beurteilen.
Übertragung auf Pferde und Empfehlung für die Fütterung
Die Werte und Daten hier stammen natürlich aus Messungen am Menschen. Messungen an anderen Säugetieren zeigen, dass die Werte ähnlich sind, wie sie beim Menschen gezeigt wurden, so dass man diese Werte auch auf das Pferd übertragen kann, wobei die genauen Werte sicherlich etwas unterschiedlich sind.
Fazit: Natriumselenit als bevorzugte Selenquelle für Pferde
Da Selenomethionin unspezifisch in Proteine eingebaut und im Körper angereichert wird, ist eine Zufuhr als Natriumselenit besser für den Körper, um Defizite auszugleichen und einer Überschwemmung des Körpers mit Selen im Rahmen des natürlichen Proteinturnover zu vermeiden.
Denn die Folgen sind dieselben wie bei übermäßiger Selen-Fütterung: Schwefel wird an seinen Bindungsstellen verdrängt und in der Folge kommt es zu brüchigen Hufen und Haaren, also schlechtem Hufhorn und Fellwechselproblemen. Schleim aus den Atemwegen wird nicht mehr so gut abtransportiert und das Pferd beginnt vermehrt zu Husten.
Selen hat zudem einen Einfluss auf den Anstieg des Blutzuckerspiegels und steht im Verdacht eine Insulinresistenz hervorrufen zu können. Insgesamt also ein Rebound-Effekt, den man so nicht haben möchte. Wie Paracelsus schon sagte, die Dosis macht das Gift. Und im Falle von Selen ist hier die Spanne zwischen gut für den Körper und den negativen Effekten sehr gering.
Daher sollte man immer darauf achten, ausschließlich Futtermittel mit anorganischem Natriumselenit auf den Speiseplan seines Lieblings zu setzen und um organische Selenvarianten einen großen Bogen zu machen.
Quellen:
Bodnar M, Konieczka P, Namiesnik J. The properties, functions, and use of selenium compounds in living organisms. J Environ Sci Health C Environ Carcinog Ecotoxicol Rev. 2012;30(3):225-52.
Patterson BH, Combs GF Jr, Taylor PR, Patterson KY, Moler JE, Wastney ME. Selenium Kinetics in Humans Change Following 2 Years of Supplementation With Selenomethionine. Front Endocrinol (Lausanne). 2021 Mar 29;12:621687
Wastney ME, Combs GF Jr, Canfield WK, Taylor PR, Patterson KY, Hill AD, Moler JE, Patterson BH. A human model of selenium that integrates metabolism from selenite and selenomethionine. J Nutr. 2011 Apr 1;141(4):708-17
Gorini F, Sabatino L, Pingitore A, Vassalle C. Selenium: An Element of Life Essential for Thyroid Function. Molecules. 2021 Nov 23;26(23):7084
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