Lesedauer 9 Minuten

Apfelessig ist in der Welt der Pferdefütterung einer der zahlreiche Ratschläge und Empfehlungen, wie man die Gesundheit und das Wohlbefinden von Pferden verbessern kann. Die Zugabe von Apfelessig zum Futtertrog ist eine immer wieder auftauchende, aber auch stark umstrittene Praxis. Einige behaupten, dass Apfelessig eine Vielzahl von gesundheitlichen Vorteilen für Pferde hat, während andere skeptisch bleiben. Aber was ist eigentlich Apfelessig? Was unterscheidet ihn von anderen Essigsorten, z.B. Weinessig? Was sagt die Wissenschaft zur Fütterung von Apfelessig an Pferde? Und natürlich: Kann man mit Apfelessig das Pferd tatsächlich „entsäuern“?

Was ist Apfelessig?

Apfelessig ist eine Art Essig, der aus fermentiertem Apfelmost (Apfelwein) hergestellt wird. Er wird durch die Umwandlung von Alkohol in Essigsäure durch Essigsäurebakterien hergestellt. Der Prozess der Essiggärung findet statt, wenn der Apfelmost mit Essigbakterien in Kontakt kommt und unter bestimmten Bedingungen bezüglich Temperatur und Belüftung fermentiert wird.

Chemisch gesehen besteht Apfelessig hauptsächlich aus Essigsäure und Wasser. Dazu kommen ein paar anderen Verbindungen wie Flavonoide, Phenole und Mineralien, die aus den Äpfeln stammen. Die Essigsäure ist für den charakteristischen sauren Geschmack verantwortlich und soll auch der wirksame Teil für die vielfach angepriesenen gesundheitlichen Vorteile von Apfelessig sein.

Im Vergleich zum Apfelessig werden die in unserer Küche auch beliebten anderen Essige wie Weinessig oder Balsamico Essig aus Wein hergestellt. Weinessig wird durch die Fermentation von Wein mit Essigsäurebakterien hergestellt, während Balsamico Essig durch einen längeren und komplexeren Prozess der Fermentation und Alterung von Traubenmost hergestellt wird. Balsamico Essig hat eine dickflüssigere Konsistenz und einen süßeren Geschmack im Vergleich zu Apfelessig und Weinessig.

Chemisch gesehen unterscheiden sich die Essigsorten in ihren spezifischen Zusammensetzungen und den Anteilen der enthaltenen Verbindungen. Apfelessig enthält beispielsweise höhere Konzentrationen an Phenolen, während Balsamico Essig höhere Mengen an Zuckern und Aminosäuren aufweist. Jede Sorte hat ihren eigenen charakteristischen Geschmack und Verwendungszweck in der Küche. Aber gerade dem Apfelessig werden immer wieder eine Menge gesunder Eigenschaften zugeschrieben, die den anderen Essigsorten abgesprochen werden.

Die Wissenschaft beschäftigt sich immer mal wieder mit den gesundheitlichen Effekten von Apfelessig. Es gibt an die 500 veröffentlichte Studien zu dem Thema, wo verschiedene Wirkungen an unterschiedlichen Tieren untersucht wurden. Apfelessig soll bei oraler Einnahme positive Effekte auf das Gewichtsmanagement bei Übergewicht haben, gegen Insulinresistenz helfen oder das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren.

Was sagt die Wissenschaft zur Fütterung von Apfelessig an Pferde?

In vitro können auch viele positive Ergebnisse nachgewiesen werden, bis hin zur Hemmung des Wachstums von Krebszellen.
Leider ist aber so ein ganzer Organismus wesentlich komplexer als eine Zellkultur, weshalb bei Studien an Versuchstieren diese Ergebnisse meist nicht reproduziert werden können oder zu insgesamt unbefriedigenden oder nicht eindeutigen Ergebnissen führen.
Derzeit kann man also keine klaren positiven Effekte auf die Gesundheit des Pferdes ableiten aus der Studienlage. All die Behauptungen, dass durch die Gabe von Apfelessig die Pferde auf magische Weise abnehmen, entwurmt werden oder Allergien verschwinden, sind so leider nicht haltbar.

Trinkendes Pferd mit Wassertropfen vor dem Maul
© Adobe Stock / ccestep8

Dem gegenüber stehen die potentiellen Nebenwirkungen. Im Apfelessig immer noch enthalten sind die Essigbakterien, die für seine Herstellung benötigt werden. Essigbakterien sind eine inhomogene Gruppe von Bakterien, die in der Natur weit verbreitet sind. Sie gehören unter anderem zur Gattung Acetobacter und zu einigen verwandten Gattungen. Der Mensch macht sich diese Bakterien schon lange zunutze für die Essigherstellung, da sie in der Lage sind, Ethanol (Alkohol) in Essigsäure umzuwandeln.

Essigbakterien kommen natürlicherweise auf Früchten, Pflanzen und in der Umwelt vor. Sie sind besonders häufig auf Obstoberflächen, wie z.B. Trauben, Äpfeln oder Beeren, zu finden, können aber auch in anderen fermentierten Produkten wie Wein oder Bier vorkommen. Essigbakterien sind aerobe Organismen, das bedeutet, dass sie Sauerstoff für ihr Wachstum und ihre Stoffwechselaktivität benötigen. Sie führen eine oxidative Gärung durch, bei der sie Ethanol in Essigsäure umwandeln. Dieser Prozess findet in Gegenwart von Sauerstoff statt, weshalb essigbakterielle Fermentationen in offenen oder belüfteten Behältern durchgeführt werden.

Was passiert mit Apfelessig im Dickdarm des Pferdes?

Auch im Dickdarm des Pferdes, bei der Fermentation der Cellulose, entsteht unter anderem Essigsäure und deren Salze (Acetat), die dem Pferd als Energiequelle dienen. Zu den wichtigsten Bakteriengruppen, die nach derzeitigem Wissensstand an der Essigsäureproduktion im Dickdarm des Pferdes beteiligt sind, gehören unter anderem die Mitglieder der Gattungen Ruminococcus, Fibrobacter und Lachnospirae. Diese Bakterienarten besitzen spezialisierte Enzyme, die in der Lage sind, Cellulose und Hemicellulose effizient abzubauen und die fermentativen Prozesse zur Produktion von Essigsäure zu unterstützen. Sie alle benötigen eine anaerobe (=sauerstoff-freie) Umgebung, es sind also ganz andere Bakterien als im Apfelessig, welche aerob leben (=Sauerstoff benötigen).

Man kann davon ausgehen, dass sich die Essigbakterien aus dem Apfelessig nicht im Dickdarm des Pferdes ansiedeln können, in Ermangelung von Sauerstoff. Ob und ggf. welche Auswirkungen die Gabe von Apfelessig oder die Passage von Essigbakterien aber auf das Dickdarm Mikrobiom des Pferdes hat, kann man nicht sagen, weil es dazu bisher keine belastbaren Untersuchungen gibt.

Kann Apfelessig das Pferd entsäuern?

Einer der häufigsten Anwendungspunkte für Apfelessig ist der Wunsch, das Pferd zu „entsäuern“. Was den pH-Wert betrifft, haben Essigbakterien ihr Optimum im sauren Bereich. Sie bevorzugen einen pH-Wert zwischen 4 und 6, wobei ein pH-Wert um 5 als besonders günstig angesehen wird. In diesem Bereich können sie am effizientesten Ethanol in Essigsäure umwandeln. Dementsprechend hat Apfelessig normalerweise einen pH-Wert, in der Regel zwischen 2,5 und 3,5. Dieser stark saure pH-Wert ist auf den Gehalt an Essigsäure zurückzuführen, die das Hauptbestandteil des Apfelessigs ist. Essigsäure ist unter den Säuren eine schwache Säure, die dem Apfelessig seinen charakteristischen sauren Geschmack verleiht. Der pH-Wert kann leicht variieren, abhängig von der genauen Zusammensetzung und der Herstellungsweise des Apfelessigs.

Gelangt der Apfelessig in den Magen, dann wird der vordere Magenbereich angesäuert, denn hier herrschen üblicherweise pH-Werte von 5-6. Das kann einen leicht negativen Effekt auf die Magenschleimhaut haben, vor allem dann, wenn bereits Magengeschwüre oder Magenschleimhautentzündungen vorliegen. Dann werden diese durch die Essigsäure gereizt, was für das Pferd schmerzhaft sein kann. Außerdem kann es in diesem Bereich zu Fermentationsreaktionen kommen, was ein Grund dafür sein könnte, warum manche Pferde nach Fütterung von Apfelessig „rülpsen“. Das spricht für ganz erhebliche Gasentwicklung im vorderen Magenabschnitt, wenn der Druck so groß wird, dass der Schließmuskel am Mageneingang Gas in Richtung Maul entweichen lässt.

Wird der Apfelessig mit dem Nahrungsbrei weitertransportiert, ändert sich im hinteren Magenbereich nicht viel am pH-Wert, denn dieser liegt natürlicherweise bereits bei 2,5-3,5 im Bereich des Magenausgangs. Beim Eintreten des Nahrungsbreis in den Dünndarm wird er dann komplett neutralisiert durch Puffersubstanzen, die aus der Bauchspeicheldrüse und der Leber stammen und dem Nahrungsbrei zugesetzt werden. Damit ist die Essigsäure neutralisiert.

Mit Apfelessig ein übersäuertes Bindegewebe „entsäuern“ zu wollen, kann also rein physiologisch nicht funktionieren. Die pH-Neutralisierung des Apfelessigs findet im Dünndarm statt. Eine Säure-neutralisierende Funktion durch Apfelessig im Stoffwechsel des Pferdes findet nicht statt.

Was kann man zur Entsäuerung tun?

Wer sein Pferd wirklich entsäuern will, sollte auf ein balanciertes Mikrobiom („Darmflora“) im Dickdarm achten. Finden hier Fehlgärungen statt, werden permanent im Übermaß Säuren aufgenommen, sodass es dazu kommen kann, dass die natürlichen Neutralisierungsfähigkeiten des Körpers für Säuren überlastet werden. In Folge kann es zu Einlagerung von Säuren im Bindegewebe und drauf folgend Lympheinlagerung kommen, was dann häufig als „Fett“ interpretiert wird, dabei ist das Pferd nur lymphatisch (Pseudo-EMS).

Darüber hinaus sollte man auf eine ausreichende Versorgung mit Zink achten. Denn dieses wichtige Spurenelement wird benötigt, um das Enzym Carboanhydrase im Stoffwechsel zu aktivieren, das wesentlich für die Herstellung von Puffersubstanzen zur Neutralisierung von Säuren verantwortlich ist. So kann auch ein Zinkmangel zu einer Übersäuerung des Bindegewebes führen. Kombiniert mit entschlackenden Kräutern und einer artgerechten Ernährung, klappt es dann auch mit der Gewichtsreduktion und der Körper kann sich seinen natürlichen Säure-Base-Haushalt wieder einstellen. Ganz ohne Essig, Zitronensaft oder ähnlich wirkungslose Zusätze im Futtertrog.

Äußerliche Anwendung

Auch von außen wird Apfelessig gerne für und gegen verschiedenste Probleme eingesetzt. Sprüht man das Pferd mit (verdünntem) Apfelessig ein, um damit Fliegen und Mücken abzuwehren, tut man dem Pferd einen Bärendienst.

Denn da Essigsäure beim Vergären von Obst entsteht, haben viele fliegende Insekten Rezeptoren dafür und fliegen die Quelle gezielt an. Es ist also eher ein Lockmittel für fliegende Lästlinge, als ein Abwehrmittel.

Einzig für die äußere Anwendung im Hufbereich kann Apfelessig mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hilfreich sein. So gibt es positive Berichte beim Einsatz gegen Strahlfäule und Abszesse im Hufbereich.

Man sieht also: nicht alles, was als „bewährtes Hausmittel“ gilt, kann auch das halten, was man sich davon verspricht.

Quellen:

  • Launholt, T. L., Kristiansen, C. B., & Hjorth, P. (2020). Safety and side effects of apple vinegar intake and its effect on metabolic parameters and body weight: a systematic review. European journal of nutrition, 59, 2273-2289.
  • Chen, H., Chen, T., Giudici, P., & Chen, F. (2016). Vinegar functions on health: Constituents, sources, and formation mechanisms. Comprehensive Reviews in Food Science and Food Safety, 15(6), 1124-1138.
  • Ousaaid, D., Mechchate, H., Laaroussi, H., Hano, C., Bakour, M., El Ghouizi, A., … & El Arabi, I. (2022). Fruits vinegar: Quality characteristics, phytochemistry, and functionality. Molecules, 27(1), 222.
  • Ho, C. W., Lazim, A. M., Fazry, S., Zaki, U. K. H. H., & Lim, S. J. (2017). Varieties, production, composition and health benefits of vinegars: A review. Food chemistry, 221, 1621-1630.
  • Guiné, R. P., Barroca, M. J., Coldea, T. E., Bartkiene, E., & Anjos, O. (2021). Apple fermented products: An overview of technology, properties and health effects. Processes, 9(2), 223.
  • Stoltz, J. A. (2018). Literature review of three common equine hoof ailments. Journal of Undergraduate Studies at Trent (JUST), 6(1), 17-23.
  • Mărgăoan, R., Cornea-Cipcigan, M., Topal, E., & Kösoğlu, M. (2020). Impact of fermentation processes on the bioactive profile and health-promoting properties of bee bread, mead and honey vinegar. Processes, 8(9), 1081.