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Das Gras sprießt und die Pferde machen schon lange Hälse unter dem Zaun durch, um an die grünen Halme zu kommen. Jeder Spaziergang wird zur Zerreißprobe für Strick und Besitzernerven!
Die Anweidezeit steht ins Haus. Worauf sollte man achten?

Langsam machen

Auch wenn das Wissen um langsames Anweiden eigentlich uralt ist, siegt in der Praxis doch häufig die Ungeduld. Aber so albern das für manche klingt: gerade bei stoffwechselempfindlichen Pferden kann man eigentlich gar nicht langsam genug anweiden. Dazu gehören Pferde, die im Winter Kotwasser, Durchfall oder Kolik hatten und natürlich alle, die schon mal eine Hufrehe hatten und daher immer anfällig bleiben. Ebenfalls besondere Vorsicht gilt bei übergewichtigen Pferden und solchen mit einer diagnostizierten Insulinresistenz oder Kryptopyrrolurie (KPU).

Weidet man solche Pferde zu schnell an, besteht ein hohes Risiko für Kolik oder Hufrehe – beides potenziell tödliche Erkrankungen!

Daher möglichst mit 5 Minuten an der Hand beginnen und langsam im 5-Minuten-Takt steigern, bis man auf etwa eine Stunde gesteigert hat. Dann kann es meist im 15-Minuten-Rhythmus weiter gehen. Die genaue Geschwindigkeit hängt aber immer vom Aufwuchs und der individuellen Empfindlichkeit des Pferdes ab.

Als Faustregel gilt: je grüner und „saftiger“ das Gras, desto höher die Gehalte an Zucker und Pektin, die mit Verantwortlich sind für das Entstehen und Hufrehe oder Kolik.

Außerdem nach kalten Nächten möglichst erst ab Mittags anweiden, da um diese Zeit Fruktane schon weitgehend abgebaut sind. Ihr Gehalt ist morgens am höchsten. Und natürlich: je empfindlicher das Pferd auf Futterumstellungen reagiert, desto langsamer sollte man das Anweiden angehen.

Jungpferdeherde
Weide Pferde stürmen endlich hinaus

Hastige Fresser mit Fressbremse ausstatten

Untersuchungen haben gezeigt, was die meisten Pferdebesitzer auch selber beobachten: Pferde können ihre Fressgeschwindigkeit sehr stark variieren. So können sie – wenn man die Weidezeit einschränkt – innerhalb einer Stunde genau so viel Gras aufnehmen, wie vorher in vier Stunden. Weniger Weidegang bedeutet also hastigeres Fressen mit schlechter Kaumechanik und zu reichlicher und schneller Nährstoffaufnahme. Die alte Taktik, dass man stoffwechselempfindliche Pferde nur kurz auf die Weide lässt, damit sie nicht so viel Gras fressen können, funktioniert also nicht.
Was tun mit den „Staubsaugern“ unter den Pferden?
Fressbremsen sind hier eine gute Alternative. Auch wenn es uns zunächst brutal vorkommt, den Pferden solch einen „Maulkorb“ zu verpassen: letztlich können sie länger auf der Koppel bleiben. Das tut der Psyche gut und sie nehmen gleichzeitig nicht zu viel Futter auf, was dem Darm zugutekommt. Es gibt hier ganz unterschiedliche Modelle, bei denen man schauen muss, was für einen selber und für das jeweilige Pferd passt. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit dem Fressregulator von AS. Er ist relativ „unkaputtbar“, stört nach einer kurzen Eingewöhnungszeit die Pferde nicht in ihrem Weideverhalten und man kann unterschiedliche Reduktionsplatten verwenden, um die Fressgeschwindigkeit auf Pferd und Weidezustand anzupassen. Eine zusätzliche Silikoneinlage schützt die Schneidezähne vor unphysiologischem Abrieb. So ist auch für empfindliche Pferde ein längerer und damit entspannterer Weideaufenthalt in ihrer gewohnten Gruppe möglich. Nach dem Weidegang sollte der Fressregulator natürlich entfernt werden, damit die Pferde auch ihrem Bedarf nach sozialer Fellpflege etc. nachkommen können.

Heu immer dazu anbieten

Häufig hört man das Argument, dass doch genug auf der Weide steht, da sollen die Pferde Gras und nicht das gute Heu fressen. Das ist leider zu kurz gedacht. Gerade junges Weidegras, das wir im Frühjahr auf den Koppeln sehen (und auch im Sommer, wenn man die Wiesen „ruhen“ lässt, damit sie nachwachsen) ist besonders reich an Nährstoffen und arm an Faser. Die Fasern, die den Blättern und Halmen in diesem frühen Stadium Halt geben, sind vor allem Pektine. Sie werden im Dickdarm vor allem von Protozoen verdaut, welche den Dickdarm ansäuern. Das ist ungünstig für die cellulolytischen Mikroorganismen, die den wichtigsten Teil der Darmflora des Pferdes ausmachen. Sie werden vor allem von Cellulose ernährt, die sich im Heu, aber nur in geringen Mengen im jungen Aufwuchs findet. Damit der Dickdarm stabil bleibt und nicht in Dysbiose geht, ist es also dringend notwendig, dass die Pferde in der Weidezeit Heu mit angeboten bekommen.

Hat man nur wenig Weidefläche zur Verfügung und arbeitet mit Wechselweide (eine ruht und kann nachwachsen, während die andere abgefressen wird), sollte man dringend über den ganzen Sommer Heu mit anbieten.

Denn das Gras hat nie die Chance, auszuwachsen und Cellulose in dem Maß einzulagern, wie das Pferd es in seiner Ration braucht. Pferde, die im Sommer Heu zugefüttert bekommen, sind wesentlich Darmstabiler und stecken auch Stoffwechselbelastungen besser weg als solche, die ausschließlich von Weidegras leben. 

Pferde, die im Sommer Heu zugefüttert bekommen, sind wesentlich Darmstabiler.© virgonira / Adobe Stock

Bitterkräuter stabilisieren die Verdauung

Viele Pferde reagieren in der Anweidezeit mit grünlichem Durchfall. Dieser beruht auf Imbalancen im Dickdarm. Der Darm hat sich über den ganzen Winter an Zellulosereiches Heu angepasst und damit in der Regel ein stabiles Gleichgewicht gefunden. Die großen Mengen an jungem Gras tragen jetzt nicht nur viel Zucker und Eiweiß ein, sondern vor allem auch Pektine. Gleichzeitig fehlt der Faseranteil aus dem Heu, der die Peristaltik reguliert. Denn je gröber die Fasern, desto langsamer die Peristaltik. Je feiner, desto schneller. Das junge Weidegras enthält nicht ausreichend Fasern, um die Peristaltik richtig einzuregulieren.

Eine zu schnelle Darmpassage ist die Folge, die wir als „Durchfall“ sehen. Dem kann man entgegenwirken, wenn man Bitterkräuter zufüttert. Sie fördern die Galleproduktion der Leber. Die Gallenflüssigkeit ist maßgeblich an der Regulation der Peristaltik beteiligt. So kann der Darm sich wieder „eintakten“ und der Durchfall geht zurück.

Natürlich sollte auch zusätzlich immer Heu oder auch Äste ungiftiger Bäume oder gutes Futterstroh angeboten werden, dessen Zellulose bzw. Lignin-Fasern ebenfalls regulierend auf die Peristaltik wirken. Haben die Pferde die Möglichkeit, dann fressen sie jetzt auch besonders gerne den (bitteren) Löwenzahn und knabbern an Büschen und Bäumen herum. Ein Waldspaziergang, bei dem man das Pferd hier und da etwas knabbern lässt, ergänzt damit den Frühlingsspeiseplan auf natürliche Weise und liefert wichtige Nährstoffe, um die Verdauung zu regulieren.

Hufe und Bewegungsmuster täglich kontrollieren – Hufrehegefahr!

Eines der größten Risiken in der Anweidezeit ist das Entstehen von Hufrehe. Diese entzündliche Erkrankung der Huflederhaut ist potenziell tödlich und sollte daher nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Warum das eine Pferd Hufrehe bekommt und das andere nicht, kann man oft von außen nicht sagen. Darüber hinaus gibt es ein rundes Dutzend verschiedener Entstehungsarten für Hufrehe, mit den unterschiedlichsten Ursachen und Auslösern und auch mit unterschiedlichen Verläufen.

Als kritisch werden in der Anweidezeit angesehen: Fruktane, Pektine, Eiweiße und Zucker.

Die Wirkungen dieser verschiedenen Nährstoffe sind aber unterschiedlich. Fruktane, Pektine und ein Übermaß an Eiweiß in der Fütterung führen zu Dysbiosen im Dickdarm und schnellen pH-Wert-Absenkungen. Das löst ein Massensterben der Darmflora aus, wodurch in hohem Maß Endotoxine frei werden. Diese werden vom Pferd über die Darmschleimhaut aufgenommen und sind bekannt dafür, Hufrehe auszulösen.
Aber auch hohe Zuckergehalte können ursächlich für Hufrehe sein, obwohl diese nicht in den Dickdarm gelangen, sondern bereits im Dünndarm dem Nahrungsbrei entzogen werden. Hier liegt in den meisten Fällen eine bestehende (und meist unerkannte) Insulinresistenz vor. Durch die Aufnahme von zuckerreichem Weidegras kommt es zu hohen Blutzuckerwerten, die im Verdacht stehen, direkt Hufrehe auslösen zu können. Außerdem führen sie natürlich zu lang anhaltenden, hohen Insulinspiegeln. Dass Insulin Hufrehe auslösen kann, wurde in Studien gezeigt.
In jedem Fall ist also Vorsicht angesagt, denn gerade morgens finden wir noch relativ hohe Fruktanwerte im Gras und natürlich besteht der junge Aufwuchs derzeit überwiegend aus Pektin, Zucker und Eiweiß.

Ponys und andere Robustpferde, Barockpferde und Kaltblüter sind dabei deutlich stärker gefährdet als Warmblüter, Vollblüter oder Araber (was nicht heißt, dass diese nicht auch Hufrehe bekommen können!). Pferde mit Stoffwechselproblemen in der Vorgeschichte bekommen häufiger Hufrehe im Frühjahr als solche, die immer gesund waren. Übergewichtige Pferde und solche, die nur selten, wenig oder unregelmäßig bewegt werden, sind stärker gefährdet als Pferde, die täglich und in flottem Tempo gearbeitet werden.

Umfang messen; dickes Pferd; Meterband; EMS
Übergewichtige Pferde und solche, die nur selten, wenig oder unregelmäßig bewegt werden, sind stärker gefährdet an Hufrehe zu erkranken.
© Adobe Stock / dabyg

Auf jeden Fall sollte man das Laufverhalten seines Pferdes jeden Tag beobachten und schon frühzeitig eingreifen. Pferde mit beginnender Hufrehe laufen oft schon vor dem akuten Ausbruch „fühlig“, vermeiden harten und steinigen Boden, bevorzugen tiefen (Sand-)Boden oder weiche Wiesenböden. Die Schrittlänge verkürzt sich, der Gang fängt an, etwas „staksig“ auszusehen, weil sie versuchen, früher den Huf vom Boden zu heben, ohne eine komplette Abrollphase zu durchlaufen. Im Stehen versuchen sie manchmal, sich kleine Kuhlen zu graben und stehen dann am Rand, sodass die Zehe übersteht und damit keinen Druck von unten bekommt. Sie suchen gerne Pfützen auf, um ihre Füße zu kühlen und vermeiden unnötige Wege, was oft als „Bewegungsunlust“ oder „fehlende Motivation“ angesehen wird. Auch Wendungen werden zunehmend vermieden. Die Füße dürfen nach Bewegung warm sein, das ist ein Zeichen für gute Durchblutung.
Hat das Pferd aber längere Zeit gestanden (z.B. nach dem Putzen oder an der Heuraufe), dann sollten die Hufe etwas kühler sein als der Körper. Sind sie deutlich warm oder ist in den Zehenarterien deutliche Pulsation zu spüren, dann ist sofort der Tierarzt zu informieren.
Sollte das Anweiden doch schiefgegangen sein und das Pferd Hufrehe haben, dann ist der Weidegang sofort zu unterbinden. Das Pferd darf über 24h mageres (zuckerarmes!) Heu, gerne gemischt mit Stroh aus einem engmaschigen Heunetz knabbern, dazu Mineralfutter, einen Salzstein und Wasser haben. Alle anderen Futtermittel sollten bis auf Weiteres vom Speiseplan gestrichen werden, auch die geliebte Banane oder Möhre.

Auf keinen Fall Radikaldiäten mit reiner Strohfütterung machen!

Das kann zu einer tödlichen Hyperlipidämie führen. Ein Pferd mit Hufrehe gehört unbedingt in die Betreuung durch einen kompetenten Tierarzt. Gerne unterstützen wir hier beratend mit alternativ therapeutischen Maßnahmen und stimmen diese auch gerne mit dem behandelnden Tierarzt ab.

Mehr zum Thema „Anweiden“ findest du in
„GEBALLTES WISSEN #1 Pferde anweiden: So bleibt alles im grünen Bereich“ oder zu Hufrehe: 5 Frühmarker, die auf Hufrehe hinweisen können