Lesedauer 5 Minuten  

Alle in der Fütterung vorkommenden Zucker, ob im Raufutter, Kraftfutter oder Zusätzen, stammen aus natürlichen Quellen. Zucker entsteht in Pflanzen bei dem Prozess, den man Photosynthese nennt. Hierbei wird die im Sonnenlicht enthaltene Energie in Form von chemischer Energie gebunden. Dafür benötigt die Pflanze neben dem grünen Blattfarbstoff Chlorophyll noch Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Die Kohlenstoffatome des CO2 werden mit Hilfe der Sonnenenergie aneinander gekettet und zu einem Ring geformt, dessen Enden mit Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H) abgesättigt werden. Übrig bleibt Sauerstoff, der als O2 in die Atmosphäre abgegeben wird. Bei diesem Prozess entstehen unterschiedliche Formen von Zucker: Fructose (Fruchtzucker), Glucose (Dextrose, Traubenzucker) oder Saccharose (Disaccharid). Aus diesen Zuckerbausteinen kann die Pflanze dann Polymere aufbauen. Dazu gehören die Strukturkohlenhydrate wie Pektin, Cellulose, Hemicellulose und Lignin, die sie für das Wachstum benötigt. Aber auch Speicherkohlenhydraten werden daraus gebildet wie der Kurzzeitspeicher Fruktan oder der Langzeitspeicher Stärke. In der Verdauung unterscheidet man beim Pferd Zucker (müssen nicht verdaut werden, können sofort aufgenommen werden über die Dünndarmschleimhaut) und Stärke (muss im Dünndarm enzymatisch zu Zucker zerlegt werden, wird dann über die Dünndarmschleimhaut aufgenommen) von Strukturkohlenhydraten (werden im Dickdarm von Mikroorganismen fermentiert, wobei hauptsächlich in Propionat, Butyrat und Acetat entstehen, die über die Dickdarmschleimhaut aufgenommen werden). 

Der Unterschied zwischen Dünndarm- und Dickarm-verdaulichen Kohlenyhdraten besteht im Wesentlichen in ihrer unterschiedlichen Wirkung auf den Blutzuckerspiegel.

In Pflanzen oder Melasse enthaltene Zucker und der aus Stärke im Dünndarm gewonnene Zucker werden direkt über die Dünndarmschleimhaut aufgenommen und gehen als Zucker ins Blut – lassen also den Blutzuckerspiegel ansteigen. Die Energieträger aus Strukturkohlenhydraten (Propionat, Butyrat, Acetat) haben keinen direkten Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Propionat kann zwar von der Leber in Glucose umgewandelt werden bei einem Absinken des Blutzuckerspiegels, z.B. durch körperliche Arbeit. Dieser Mechanismus wird aber eher wenig genutzt, statt dessen ist das Pferd in der Lage, diese Derivate direkt in den Zellen als Energielieferanten einzusetzen. 

Dabei ist es für den Körper vollkommen unerheblich, aus welcher Quelle der Zucker stammt. Der Zucker in Melasse stammt aus der Zuckerrübe, ist also auch direkten pflanzlichen Ursprungs. Er wird in den Blättern der Rübe produziert und in der Wurzel als Speicher eingelagert, um für das kommende Jahr für die Pflanze zum Austreiben zur Verfügung zu stehen – sofern sie nicht vom Menschen geerntet und verarbeitet wird. Der Zucker aus der Zuckerrübe bzw. aus dem Abfallprodukt der Herstellung weißen Zuckers, der Melasse, wird ebenso direkt im ersten Drittel des Dünndarms resorbiert wie der Zuckeranteil, der aus dem Heu oder Gras stammt. 

Die Zuckergehalte im Raufutter unterscheiden sich dabei erheblich je nachdem, welcher Bewuchs auf den Flächen zu finden ist. Das Pferd ist von Natur aus auf sehr niedrige Zuckergehalte im Grundfutter angepasst. Steppengräser enthalten in der Regel <4% Zuckergehalt, sodass Wildpferde im Wesentlichen auf die Energie aus den Strukturkohlenhydraten angewiesen sind. Durch die Veränderung unserer Wiesengräser durch die gezielte Saatgutzüchtung finden wir jedoch auf Weiden und im Heu immer mehr so genannte Hochzuckergräser, die für Leistungslandwirtschaft (Milch- und Mastvieh) sowie für eine optimierte Silierung produziert wurden. Deutsches Weidelgras kann bis zu 36% Zuckergehalt aufweisen! Leider bleiben die Samen solcher Hochzuckergräser nicht auf den Flächen, wo sie ursprünglich ausgesät wurden, sodass sie sich immer weiter ausbreiten. Da sie gleichzeitig sehr stressresistent und durchsetzungsfähig sind, können sie auf Heuwiesen und Weiden erwünschte, pferdegerechte Magergräser immer weiter verdrängen. Deshalb steigt der durchschnittliche Zuckergehalt im Heu seit Jahren immer weiter an. Erwünscht wären für Pferde Zuckergehalte im Heu von <10% (bei leichtfuttrigen und stoffwechselempfindlichen Pferden eher <6%). Die Realität zeigt jedoch, dass die meisten Heuproben (spät gemähter erster Schnitt) eher 12-14% Zuckergehalt aufweisen. Wenn man mal eines mit 10% findet, dann freut man sich schon über dieses „magere“ Heu. Das heisst, mit 1kg Heu nimmt das Pferd 120 – 140g Zucker auf. Rechnet man das hoch auf eine Tagesration und geht davon aus, dass das Pferd 10kg Heu bekommt (500kg Pferd, 2kg Heu je 100kg Körpergewicht), dann sprechen wir von 1.200 – 1.400g Zucker, die in 24h aufgenommen werden. Zum Vergleich: Ein Paket Haushaltszucker enthält 1.000g. 

Pferde fressen Mineralfutter
© Adobe Stock/Annalene

Wenn im Mineralfutter 2% Melasse beigefügt sind und das Pferd eine Tagesdosis von 100g aufnimmt, sind das 2g Zucker. Zum Vergleich oben: ein Zuckerwürfel hat 3g. Wir sprechen also in den Mengen zwischen 1 Zuckerwürfel (Melasse aus Mineralfutter) oder 1,5 Paketen Zucker (aus Heu). Physiologisch ist die Verarbeitung von Zucker aus Melasse und Zucker aus Heu genau dieselbe – der im Dünndarm aufgenommene Zucker muss aus dem Blut gefiltert und in Muskeln und Leber zwischengelagert werden. Im Optimalfall wird er in der Muskulatur dann durch Arbeit verbraucht, wenn nicht, dann kommt es – je nach Rasseprädisposition – zu einem unsauberen Abbau und Einlagerung im Bindegeweben (Lymphretention, Pseudo-EMS) oder zum Aufbau von Fettreserven (EMS). Es kommt also weniger auf die Quelle des Zuckers an, sondern mehr auf die Menge, die pro Zeiteinheit in das Blut gelangt.

Team Sanoanimal