Während die meisten Warm- und Vollblutbesitzer sich im Sommer entspannt zurück lehnen und ihr Pferd bis zu 24 Stunden täglich auf der Weide lassen, ist diese Zeit für viele Besitzer von so ziemlich allen anderen Pferderassen von ausgesprochenem Stress geprägt. Wie viel Weidezugang ist noch ok? Hoffentlich wird das Pferd nicht dick. Und hoffentlich gibt es keine Hufrehe! Ein Sommer mit regelmäßigen Regenschauern, abwechseln mit warmen Wetterperioden lässt noch dazu die Wiesen besonders gut sprießen. Was tun mit dem latent übergewichtigen Pony oder Spanier? Weide komplett streichen? Oder nur stundenweise?
Zunächst einmal ist es völlig normal, dass Pferde im Sommer während der Weidesaison an Gewicht zulegen. Diese Reserven verbraucht ein gesundes und artgerecht gehaltenes Pferd im Winter, da die Nahrung in der Winterzeit normalerweise nicht so reichhaltig ist und zusätzlich viel Energie für die Wärmeproduktion benötigt wird. Es ist also normal, wenn ein Pferd etwas runder aus der Weidesaison in den Winter geht, solange es dafür etwas rippiger aus dem Winter wieder in den Sommer kommt. Bei vielen Pferden wird aber im Winter dann ordentlich zugefüttert und die Kälte mit einer dicken Thermodecke in Schach gehalten, damit der Liebling nicht frieren muss. Solche Pferde kommen dann oft schon sehr gut genährt aus dem Winter. Von Jahr zu Jahr wird es etwas mehr auf den Rippen, bis irgendwann der Fettstoffwechsel aus dem Ruder läuft und das Pferd ein handfestes Equines Metabolisches Syndrom (EMS) entwickelt. Wie beim Menschen auch ist erhebliches Übergewicht (Adipositas) kein Kavaliersdelikt, sondern ein handfestes gesundheitliches Risiko. Von Insulinresistenz über Hufrehe bis Herz-Kreislauf-Erkrankungen und frühem Gelenkverschleiß (Arthrose) ist hier alles dabei, was man als Pferdebesitzer lieber nicht bei seinem Pferd sehen möchte.
Nährstoffreiche Weiden – ein Problem
Dazu kommt, dass unsere Weiden heute in der Regel viel nährstoffreicher sind als noch vor 100 Jahren – Kunstdüngern sei dank. Auch wer seine Weide seit Jahren nicht düngt: Altbelastungen aus früherer Nutzung als Hochleistungswiese oder Acker bleiben lange im Boden und natürlich verbreiten sich auch die nährstoffreichen Gräser, die für die Rinderhaltung auf der Nachbarwiese angebaut werden, auf die Pferdekoppel. Insgesamt sind unsere Weiden nährstoffreicher und artenärmer als das, was Wildpferde oder auch ausgewilderte Pferde in Landschaftsschutzgebieten vorfinden. Entsprechend ist dann auch meist die Heuqualität: hohe Zucker- und Proteingehalte sind zwar prima für eine Milchkuh, aber leider völlig ungeeignet für Pferde. So bekommen sie im Winter Hochleistungsheu und im Sommer dann Hochleistungswiese – eine fatale Ernährung für das Steppentier Pferd. Und während die Pferde vor 100 Jahren noch Arbeitstiere waren und Pflug oder Wagen gezogen haben, sind sie heute meist Freizeitpartner – was der Seele von Mensch und Pferd gut tut, aber leider nicht den Energieverbrauch mit sich bringt, den es bräuchte, um diese modernen, nährstoffreichen Futter adäquat zu verwerten. Zu reichhaltige Ernährung mit gleichzeitig zu wenig Bewegung sorgen nicht nur beim Menschen für Übergewicht und „Wohlstandskrankheiten“.
Trotzdem ist gerade der Weidegang unverzichtbar in einer artgerechten Pferdehaltung. Er entspricht am weitesten dem natürlichen Verhalten: Das Pferd sucht sich über Stunden sein Futter am Boden, wählt die Pflanzen aus, die es fressen möchte und bewegt sich dabei stetig vorwärts – anstatt monoton Heu aus dem Netz zu zupfen, während es stundenlang an derselben Stelle an der Raufe steht. Aber so wichtig Weidegang ist: bei stoffwechselempfindlichen Pferden, insbesondere mit Hufreherisiko sowie bei solchen mit Neigung zu Übergewicht sollte man ein paar Punkte beherzigen.
1) Die perfekte Weidehaltung gibt es bei uns praktisch nicht
Leider, leider. Denn dann müsste man pro Pferd 1-2 Hektar Magerwiese mit Busch- und Baumbestand anbieten können. Die Realität sieht meist eher so aus, dass sich 20 Pferde 2 Hektar teilen. Damit eine solche Fläche nicht innerhalb kürzester Zeit zum Acker zertrampelt wird, arbeitet man in aller Regel mit Saatgutmischungen für verbesserte Trittfestigkeit. Leider sind das genau die Gräser, die hohe Nährwerte haben, also eigentlich unerwünscht sind auf einer Pferdekoppel. Außerdem wird meist ordentlich gedüngt, damit trotz des hohen Pferdebesatzes genügend Grün wächst und man kein Heu zufüttern muss – denn Heu kostet Geld, die Weide wächst ja von alleine. Auch das ist kontraproduktiv. Mäßige Düngung ist gut und sinnvoll, denn durch die Überweidung steigen sonst die Gehalte an Zucker, Fruktan und Endophyten übermäßig an. Die Dosis macht das Gift, auch bei der Düngung. Daher auf Pferdewiesen eher Magergräser ansähen, in Maßen düngen und die Pferde dafür nicht durchgehend den ganzen Sommer auf die Koppel lassen. Denn man sollte dem Gras auch immer wieder die Möglichkeit geben, sich vom Weidegang zu erholen. Aber nicht jeder Stall hat genügend Weidefläche, um jede Koppel ein Dreivierteljahr ruhen zu lassen.
In der Zeit der Weideerholung kann man aber als Alternative zum Weidegras auf dem Paddock frisch gemähtes Grün füttern. Diese Praxis ist leider völlig aus der Mode gekommen, dabei bietet sie eine hervorragende Möglichkeit, den Pferden die wertvollen Pflanzenstoffe aus frischen Weidepflanzen anzubieten, ohne die Weidepflanzengesellschaft zu ruinieren. Denn eine Wiese, die streifenweise gemäht wird im Lauf des ganzen Sommers, behält auch über die Jahre ihre Artenvielfalt, leidet nicht unter Bodenverdichtung und Parasitenvermehrung und ist damit eine artgerechte und gesunde Alternative zu Weidegras von zu kleinen Flächen. Einfach darauf achten, dass nicht mehr gemäht wird, als in 12 Stunden gefressen werden kann – gerne eine Portion morgens und eine Portion abends zum Heu ad libitum dazu anbieten. Was übrig bleibt, sind dann meist nur Pflanzen, die giftig oder geschmacklich untauglich sind – und auch auf der Weide stehen bleiben würden. Die kann man dann vor der nächsten Fütterung einfach auf dem Misthaufen entsorgen. Auch wenn die Frischgrünfütterung natürlich nicht der Futtersuche auf der Weide entspricht, wird sie von Pferden gerne als Alternative angenommen.
2) Kürzere Weidezeit = weniger Futter?
Lange hieß es immer, dass man gefährdete Pferde nur für eine halbe Stunde oder maximal eine Stunde auf die Koppel lassen dürfte, während alle anderen ruhig länger draußen bleiben dürfen. Das hat zwei große Probleme: Erstens wird in dem Fall ein Pferd von seiner Gruppe getrennt und auf den Paddock gestellt. Das ist für Pferde in einer gut funktionierenden Herde ausgesprochener Stress – und zwar sowohl für die Gruppe als auch für das Pferd, das abgesondert wird. Dabei geht es weniger darum, dass ein Pferd das als „ungerecht“ empfindet, sondern viel mehr darum, dass eine Herde eine geschlossene Gemeinschaft ist. Wird ein Herdenmitglied weggenommen, dann kommt das ganze Gefüge auseinander. Oft wird dann noch ein Kumpel mit dazu gestellt, damit das Pferd nicht so alleine auf dem Paddock ist. Das ist ein richtiger Schritt, aber trotzdem eine Störung der Herde und damit Stress, schließlich fehlen jetzt zwei Mitglieder.
Außerdem haben Studien gezeigt, dass Pferde ihr Fressverhalten verändern, wenn man den Weidezugang kürzt. Waren die Pferde vorher vier Stunden auf der Weide und jetzt nur noch eine Stunde, so schaffen sie es innerhalb kürzester Zeit, in der einen Stunde genau so viel Gras in sich reinzustopfen wie vorher in vier Stunden. Damit erreicht man mit einer kürzeren Weidezeit eher das Gegenteil von dem, was man wollte: Die Pferde fressen genau so viel, aber sie schlingen und kauen nicht gründlich, was zusätzliche Verdauungsprobleme bereiten kann. Dasselbe Verhalten also, das man in den meisten Ställen mit Heuautomaten beobachten kann: Die kürzere Zugangszeit zum Raufutter macht einfach nur Stress und sorgt für „Schlingverhalten“ beim Fressen, statt ruhigem, gründlichem Kauen, wie es natürlich wäre. Also einfach nur die Weidezeit kürzen ist noch kein Garant dafür, dass das Pferd nicht verfettet und fördert Stressverhalten.
3) Weiden abstecken oder umweiden?
Viele Ställe lösen das Problem des mangelnden Weideplatzes dadurch, dass die Weiden in sich nochmal abgezäunt werden und dieser Zaun dann täglich oder alle paar Tage ein Stückchen weiter gesteckt wird. Das hat den Vorteil, dass die Pferde nicht ungehindert „reinhauen“ können, man also die aufgenommene Menge je Zeiteinheit ganz gut regulieren kann. Der Nachteil liegt aber vor allem in der Wiese, die schon abgefressen ist: Hier knibbeln die Pferde noch wochenlang weiter an jedem nachwachsenden Grashalm rum. Dieses Gras bekommt Stress, dadurch steigt der Gehalt an Fruktan und Endophyten – also die Faktoren, die mit-Auslöser von Hufrehe sind. Dasselbe gilt übrigens auch, wenn die Koppeln schon abgefressen sind. Gerade diese abgefressenen Weiden werden ja gerne für die stoffwechsel-angeschlagenen Pferde verwendet „weil da nichts mehr drauf steht“. Aber das, was da steht, ist für den Stoffwechsel tendenziell schädlicher als ein ausgewachsenes, besser noch überständiges Gras.
Die Alternative zum Nachstecken ist das Umweiden: Also die Nutzung mehrerer Weideflächen, die immer nur kurz beweidet werden, bevor die Pferde auf eine neue Fläche kommen. Das ist wesentlich schonender für die Weiden als das Nachstecken, da die Flächen wirklich Zeit haben, sich mal ohne Verbiss und Vertritt wieder zu erholen. Gerade in regenreichen Sommern wächst das Gras dann auch sehr schnell und üppig nach. Und genau hier liegt wiederum die Gefahr: Dieses Gras ist von der Zusammensetzung vergleichbar mit dem Frühlingsgras. Es ist sehr nährstoffreich und faserarm und damit sehr nahrhaft. Gerade für Pferde mit Neigung zu Übergewicht also eher ungeeignet.
Früher hatte man als Hof in der Regel zwei Weiden: Eine Frühsommerweide und eine Spätsommerweide. So hatte jede Fläche ein Dreivierteljahr, sich vom Weidegang wieder zu erholen. Von der Spätsommerweide wurde oft noch ein erster Heuschnitt gemacht, wenn der Bewuchs es zuließ, sodass im Spätsommer nicht alles schon vertrocknetes Gestrüpp war. Hat man Flächen von einer Größe, die so eine Weidehaltung zulassen, dann ist die Wechselweide eine gute Alternative, die auch relativ flächenschonend ist. Allerdings sind die Flächen dann meist wieder so groß, dass die Pferde ordentlich Nahrungsangebot haben. Leiden sie dann schon vorher unter einer unterschwelligen Stoffwechselproblematik wie einer unerkannten Insulinresistenz, dann kann innerhalb eines solchen Sommers der Stoffwechsel „aus den Fugen geraten“.
4) Heu zur Weide? Die sind doch eh schon zu fett!
Diese Diskussion hat man leider immer wieder in den Ställen. Die Tatsache, dass die Pferde durch die Weide Übergewicht ansetzen wird als Grund genommen, keine Alternative zur Weide anzubieten. Lässt man Pferden freien Zugang von der Weide zum Heu und umgekehrt, dann kann man beobachten, dass sie nicht durchgehend auf der Weide stehen, obwohl das Futter dort doch viel saftiger und leckerer ist. Sie gehen zwischendurch immer wieder Heu fressen. Und das braucht der Darm! Denn das Weidegras hat im Verhältnis zu seinem Nährwert viel zu wenig Faseranteil, insbesondere zu wenig Cellulose. Das Heu hingegen enthält jede Menge Cellulose, dafür weniger Nährstoffe als Gras. Und auf das ausgewogene Verhältnis von Faser zu Nährstoff kommt es für einen gesunden Pferdedarm an.
Daher gehen Pferde auch in der Weidesaison gerne an Faserfutter: Heu, Zweige, Äste, Stroh, Laub sind gern genommen, um die Darmflora zu stabilisieren und den Bauch zu füllen, ohne übermäßig „Kalorien“ aufzunehmen. Deshalb ist gerade in der Weidezeit das Angebot von Heu wichtig. Es kann ruhig ein besonders stängeliges sein, das auch Holz- oder Schilfanteile enthält. Aber auch ein gutes Haferstroh wird gerne zwischendurch genommen. Und wenn der nächste Sturm wieder einen Ast vom Apfelbaum abbricht, dann kann man auch diesen einfach auf die Koppel schmeißen – er wird innerhalt weniger Tage fast völlig „verputzt“. Heu zum Weidegras ist also ein essentieller Anteil darin, das Gewicht und die Darm- und Stoffwechselgesundheit während der Weidesaison zu managen, insbesondere bei abgenagten und bei saftig grünen Weiden.
5) Fressbremse ja oder nein?
Immer häufiger sieht man Pferde mit „Maulkorb“ auf der Weide stehen. Was auf den ersten Blick wie Tierquälerei wirkt, ist für manche Pferde die einzige Möglichkeit, überhaupt mit auf die Weide zu gehen. Gerade wenn der Stoffwechsel schon hochgradig entgleist ist, kann sowohl der Stress „drinnen“ bleiben zu müssen als auch der Zugang zum reichhaltigen Weidegras erhebliche Erkrankungen von Kolik bis Hufrehe auslösen. Dann ist es besser, die Futteraufnahme pro Zeiteinheit zu verringern und dafür die Pferde mit auf die Koppel zu lassen. Denn man darf nie vergessen, dass es für die Psyche des Pferdes unverzichtbar ist, sich wenigstens einige Wochen im Jahr das Futter selber am Boden zu suchen, sich dabei langsam fortzubewegen und sekundäre Pflanzenstoffe aufzunehmen, die über den Trocknungsprozess nunmal im Heu verloren gehen. So kann eine solche Fressbremse durchaus eine Alternative sein, um dem Pferd Weidegang zu ermöglichen, während man parallel daran arbeitet, den Stoffwechsel wieder soweit zu sanieren, dass eine „normale“ Weidehaltung in Zukunft möglich sein sollte. Es gibt hier mittlerweile unterschiedliche Modelle, wo man für sein Pferd ausprobieren sollte, mit welchem es am besten zurecht kommt.
Ideal sind Fressbremsen, wo man die Lochgröße an den Zustand der Weide anpassen kann. Denn gerade wenn das Gras sehr lang ist, dann drücken viele Modelle das Gras einfach nur platt und das Pferd kriegt kaum einen Halm durchgefädelt. Der daraus resultierende Futterfrust sorgt dann oft nicht nur für die Zerstörung des Maulkorbs, sondern auch für ausgesprochen schlechte Laune beim Pferd. Daher ausprobieren, bis man das perfekte Modell gefunden hat, das für das Pferd und auch den Zustand der Weide passt. Eine solche Fressbremse ist nicht dafür gedacht, über 24 Stunden auf dem Pferd zu bleiben! Nach Möglichkeit sollten die Pferde sie nur für einige Stunden tragen und dann abgenommen bekommen, wenn sie beispielsweise dann wieder bei Heu auf dem Paddock stehen. Nur dann können sie auch ihrem Bedürfnis nach sozialer Fellpflege nachkommen und auch das Saufen macht sich ohne Maulkorb deutlich besser. Also für stundenweisen Einsatz durchaus zu empfehlen und besser als ein dauergestresstes, weggesperrtes Pferd. Das langfristige Ziel sollte aber immer sein, den Stoffwechsel soweit wieder in die normalen Bahnen zu lenken, dass das Pferd irgendwann auch ohne solche Hilfsmittel auf die Weide kann.
In diesem Sinne: noch eine gute Weidesaison auch für alle „Pummelchen“.
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