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Jahrelang gehörte die Karottenfütterung im Winter dazu wie Glatteis und kalte Finger. Die großen Säcke wurden beim Futterhändler geholt oder direkt geliefert und ein paar Kilo pro Tag und Pferd waren (und sind in vielen Ställen immer noch) keine Seltenheit. Oft wurde der Gesundheitsaspekt hervorgehoben, der hohe Gehalt an Beta-Carotin und anderen Vitaminen sowie der gute Geschmack auf dem eintönigen Winterspeiseplan.

Mittlerweile beobachtet man jedoch in einigen Ställen genau das Gegenteil: eine regelrechte Anti-Karottenhysterie macht sich breit. So wie ehemalige Raucher gerne die militantesten Nichtraucher werden, gibt es auch unter der ehemaligen Karotten-Fraktion einige, die das Wurzelgemüse aufs übelste verteufeln und den frühen Tod des Pferdes an die Wand malen.

Die Wahrheit liegt mal wieder – wie so oft – dazwischen. Und die Dosis macht das Gift!

Baustoff Pektin

Karotten bestehen (neben viel Wasser) im Wesentlichen aus dem Baustoff Pektin, der zu den Strukturkohlenhydraten gehört, die das Pferd im Dickdarm mit Hilfe der dort angesiedelten Mikroorganismen verwerten kann. Faserbasierte Futtermittel sind grundsätzlich gut und richtig für Pferde, da sie ihre Energie überwiegend aus Fasern gewinnen und nicht wie wir aus dünndarmverdaulichen Nährstoffen wie Stärke. Jedoch werden die verschiedenen Fasern im Dickdarm von unterschiedlichen Mikroorganismen verdaut. Und wer das meiste Futter bekommt, der kann sich am besten vermehren und bestimmt die Lebensbedingungen im Darm.

Von Pektinen ernähren sich schwerpunktmäßig Mikroorganismen, die ein saures Darmmilieu bevorzugen und das entsprechend um sich herum erzeugen, wenn sie gute Futterbedingungen vorfinden. Ein saurer pH Wert im Dickdarm sollte aber absolut vermieden werden, da die wichtigen Cellulose-abbauenden Mikroorganismen unbedingt ein neutrales pH Milieu benötigen. Wird es zu sauer, dann sterben diese wichtigen Darmsymbionten ab, was langfristig nicht nur dazu führt, dass das Pferd sein Heu nicht mehr richtig verwerten kann, sondern auch die Entstehung von Erkrankungen wie Hufrehe, Kolik oder Kryptopyrrolurie (KPU) begünstigt.

In kleinen Mengen ist Pektin immer in der Fütterung vorhanden, denn es wird von den Pflanzen als Baustoff für Blätter, Blüten und ähnlich weich-elastische Pflanzenteile verwendet. Frühlingsgras ist sehr reich an Pektin, da die jungen Blätter aus diesem Stoff gebaut sind. Sobald das Gras aber auswächst („verholzt“), sinkt der Pektingehalt deutlich ab. In einer naturnahen Ernährung haben Pferde also eine kurze Phase sehr pektinreichen Futters im Frühjahr und die restliche Zeit eine cellulosereiche und pektinarme Nahrungsgrundlage, sodass die Pektin-abbauenden Mikroorganismen spätestens über den Winter regelrecht „ausgehungert“ werden.

Solange Pektin demnach in kleinen Mengen oder nur in kurzen Phasen in den Darm gelangt, ist es also absolut unproblematisch und kann vom Pferd gut kompensiert werden. Es sollte eben nur nicht im Übermaß und schon gar nicht in großen Mengen über längere Zeit gefüttert werden, dann kann es zu einer Ansäuerung des Dickdarms mit einer ganzen Reihe unschöner Folgeerscheinungen kommen.

Fazit Pektin

Ein Möhrchen hier und da schadet dem Darm eines gesunden Pferdes nicht. Leidet aber das Pferd schon an Darmstörungen wie Kotwasser, Durchfall, Kolikneigung, Blähungen, Aufgasungen oder ähnlichen Problemen oder hat es einen bekanntermaßen sauren oder dysbiotischen Darm (sauer riechender Kot, auffallender Indikan-Wert), dann sollte man die geliebten Möhrchen erstmal durch eine andere Belohnung ersetzen, bis der Darm wieder stabil ist. Für Hufrehe-Pferde sind Karotten tabu, sie leiden meist ohnehin an einer Dickdarmübersäuerung.

Beta-Carotin und anderen Vitamine

Während Karotten praktisch keinen Beitrag für die Mineralversorgung liefern, enthalten sie eine Reihe von Vitaminen, allen voran das Beta-Carotin, den roten Pflanzenfarbstoff, der unter anderem für ihre Farbe verantwortlich ist. Je nach Sorte liegt der Gehalt zwischen 5 und 30mg je 100g Frischsubstanz. Beta-Carotin dient dem Pferd als Vorläufer für Vitamin A. Es kann im Dünndarm aus Beta-Carotin hergestellt werden und spielt eine wichtige Rolle unter anderem in der Funktion der Netzhaut (Retina). Beta-Carotin erfüllt im Stoffwechsel des Pferdes aber auch eigene Aufgaben. So greift es ein in die Steuerung des Zyklus’ bei der Stute.

Pferde nehmen Vitamin A und Beta-Carotin üblicherweise über das Weidegras auf. Dessen Gehalt an Beta-Carotin ist im Frühjahr am höchsten, was den Zyklus der Stute ordentlich auf Trab bringt, sodass sie im Mai oder Juni vom Hengst gedeckt werden kann. Im Sommer und über den Winter sinken die Beta-Carotin Werte im Grundfutter, sodass der Zyklus wieder „schlafen geht“, damit es nicht zu einem Fohlen im Winter kommt. Aus diesem Grund füttern Züchter, die explizit im Winter geborene Fohlen wollen, ihren Stuten auch Beta-Carotin zu, denn sonst kommt es im Winter nicht zu einer ausgeprägten Rosse. Bei einem Freizeitpferd sollte man sich fragen, wie sinnvoll es ist, wenn die Stute den ganzen Winter durch-rosst.

Einen Mangel an Vitamin A entwickeln Pferd im Winter trotzdem in der Regel nicht, da was als fettlösliches Vitamin im Fettgewebe eingespeichert werden kann und zusammen mit den Anteilen an Beta-Carotin aus dem Heu ausreicht, um das Pferd gut über den Winter zu bringen. Eine Zugabe von Öl zu den Karotten, für eine bessere Verwertbarkeit des Beta-Carotins, ist überflüssig, denn Pferde haben immer einen gewissen Öl-Anteil in ihrem Grundfutter (Heu enthält üblicherweise 1-2,5% Rohölgehalt), der völlig ausreicht, die Vitamine aufzuschließen.

Fazit Beta-Carotin und anderen Vitamine

Im Sommer regelmäßiger Zugang zu Weidegras (da reicht schon eine Viertelstunde an der Hand grasen!) und im Winter ein ordentliches Heu und man muss sich keine Sorgen über Beta-Carotin Mangel machen. Als Vitaminversorgung hier und da gegeben also „nice to have“, aber nicht notwendig und in großen Mengen problematisch.

Fjordpferd bekommt eine Karotte
Ein Möhrchen hier und da schadet dem Darm eines gesunden Pferdes nicht. © Adobe Stock/anna608

Zuckergehalt in Möhren

Während man den Gehalt an Eiweiß (ca. 1%) und Fett (ca. 0,25%) bei Karotten klar vernachlässigen kann, ist der Gehalt an Zucker nicht zu unterschätzen. Durch züchterische Maßnahmen wurde in den letzten Jahrzehnten nicht nur Farbe, Form und Größe optimiert, sondern auch der Geschmack, das heißt der Zuckergehalt wurde deutlich erhöht. Wer schon einmal auf der Wiese eine wilde Möhre gefunden und gegessen hat, der weiß, dass diese im Wesentlichen bitter schmeck, von süß keine Spur.

Ganz anders unsere handelsüblichen Karotten für Tisch und Futtertrog, denen der bittere Geschmack dank der Zuchtoptimierung für den zucker-liebenden Konsumenten komplett abhanden gekommen ist und die dafür deutlich süß schmecken. Man findet Angaben zwischen 4,7 und 8% Zucker. Nun klingt 4,7g bei 100g Karotte erstmal nicht viel.

Zum Vergleich: ein Zuckerwürfel hat 3g Zucker. Aber nur wenige Besitzer füttern ihren Pferden nur 100g Karotten. Die meisten Karottenpakete im Supermarkt enthalten 1kg Karotten. So eine Packung ist an einem Tag beim Pferd schnell weg. Kauft man die großen Säcke mit 10-20kg Inhalt, dann werden es auch schnell mal 2-3 kg Karotten, die in der Futterkrippe landen, denn der Sack muss ja leer werden, bevor die Möhren schlecht werden. Und hier sprechen wird dann schnell über 47g (bei 1kg) bzw. 140g Zucker (3kg Karotten).

Mit 1 kg Karotten hat unser Pferd also schon 16 Zuckerwürfel intus, bei 3 kg Karotten kommen wir auf knappe 50 Zuckerwürfel. Das früher übliche Stück Würfelzucker als Belohnung nach der Arbeit ist seit Jahren verpönt, sei doch Zucker nicht gut für die Zähne und überhaupt. Stattdessen werden aber großzügig Möhrchen gegeben.

Fazit Auch hier mal wieder: auf die Menge kommt es an. Hier und da ein Möhrchen schadet keinem Pferd, ebenso wenig wie ein Zuckerstücken nach der Arbeit. Aber hat das Pferd bereits Equines Metabolisches Syndrom (EMS) oder Insulinresistenz, neigt es zu Hufrehe oder ist extrem leichtfuttrig oder stoffwechselempfindlich, dann sollte man sich jedes Möhrenstück gut überlegen.

Schadstoffe in Karotten

Einer der größten Diskussionspunkte, wenn es um das Thema Obst und Gemüse geht, ist stets die Belastung mit chemischen Substanzen aus der Landwirtschaft. Keine Frage ist unser Obst- und Gemüseanbau in den letzten Jahrzehnten – so wie ja auch der Rest der Landwirtschaft – immer mehr „optimiert“ worden, d.h. immer höhere Erträge aus letztlich demselben Boden und denselben Tieren.

Laut einem Bericht der Zeitschrift Ökotest von 2009 waren alle untersuchten Bio-Möhren rückstandsfrei. In allen konventionellen wurden hingegen Pestizidrückstände gefunden, aber immer im gesetzlich erlaubten Rahmen. Meist verwendet werden hier Pflanzenschutzmittel gegen Pilze bzw. Fäule, da – wie jeder Pferdebesitzer weiß – Karotten gerade bei etwas feuchter Lagerung sehr schnell dazu neigen, braune faulige und schimmelige Stellen zu entwickeln.

Auch die untersuchten Nitratwerte waren alle im gesetzlichen Bereich (http://www.oekotest.de/cgi/index.cgi?artnr=91781&bernr=04). Dabei sind Bio-Möhren laut Untersuchungen der Stiftung Warentest fast immer nitratärmer als konventionelle Möhren (http://www.testberichte.de/preisvergleich/level4_test_stiftung_warentest__8417.html). Das kann man gerne glaube, werden doch die Karottensamen laut Gesprächen von mir mit Gemüsebauern in der Regel als Saatgutbänder eingesetzt, die bereits mit Nitratdünger gefüllt sind. Auch wer schon einmal versucht hat, im heimischen Garten oder Balkonkasten Karotten, der anzubauen weiß, dass diese ohne ordentliche Nitratdüngung eher mickerig bleiben und dafür deutlich intensiver schmecken als die übliche Supermarktware.

Gesundheitlich stellen also weder die Pestizid- noch die Nitratwerte in den Karotten – solange sie in Maßen verfüttert werden – ein Problem dar. Wer sicher gehen will, füttert aber lieber Bio-Möhren. Vor dem Hintergrund der Pestizidbelastung sollte man außerdem Produkte aus Karottenschalen eher vermeiden, denn hier sind üblicherweise die Rückstände am höchsten konzentriert.

Fazit: Ja, Karotten sind belastet, vor allem mit Nitrat und verschiedenen Pflanzenschutzmitteln gegen Schimmel und Fäule. In kleinen Mengen können diese Stoffe vom Körper eines gesunden Pferdes problemlos kompensiert werden, ebenso wie Spritzmittelrückstände auf Stroh oder Getreide. Wer sicher gehen will, steigt auf Bio-Möhren um und hält sich daran, nur kleine Mengen zu füttern.

Fazit

Karotten sind – nicht zuletzt wegen ihres süßen Geschmacks – ein erstklassiges und bei Pferden sehr beliebtes Belohnungsfuttermittel. Sie liefern keinen nennenswerten Beitrag zur Nährstoffversorgung, werden aber als Abwechslung auf dem Speiseplan gerne genommen oder sind der Belohnungs-Jackpot für besonders gute Leistung. Solange ein Pferd keine stoffwechselseitigen Vorerkrankungen hat und die Karotten in Maßen gegeben werden, d.h. 2-3 Stück (nicht Kilogramm!!!) pro Tag und vielleicht nicht unbedingt jeden Tag, sondern eher als „Super-Gutsli“, kann man sie ruhigen Gewissens geben.

Mehr dazu: Welche Menge an Zucker ist schädlich für mein Pferd oder im Sanoanimal Podcast #30 Leckerlis- Does and Dont’s in der Belohnung bei Pferden