Lesedauer 7 Minuten

Dass Pferde unter Stress leiden können, ist eine recht neue Erkenntnis. Ist man früher davon ausgegangen, dass das ein „Sportpferdeproblem“ ist, kommt man immer mehr dahinter, dass Pferde sich auch „krank stehen“ können: Auch bei „nichts tun“ kann Stress entstehen, beispielsweise durch Fehler im Haltungs- oder Fütterungsmanagement.

Mangelnde Beschäftigung ist dabei ebenfalls ein Faktor. Untersuchungen am Menschen zeigen, dass „Bore-out“ zu denselben körperlichen Reaktionen führt wie „Burn-out“. Und das gilt auch bei Pferden.

Die meisten Verhaltensauffälligkeiten von Koppen über Weben bis Manegenverhalten (in der Box im Kreis laufen) haben mit Stress durch Langeweile und Futtermangel zu tun.

Schaut man sich die einzelnen Fälle genau an, dann stellt man immer wieder fest: verantwortlich für den Stress bei Pferden sind meist die Haltungs- und Fütterungsbedingungen. Gerade mit dem Ende der Weidesaison steigt bei vielen Pferden wieder der Stress-Level.

Zu den Top Stressfaktoren bei Pferden gehören:

Zu wenig Raufutter

Fressen bedeutet Beschäftigung, Hunger macht schlechte Laune. Pferde sind von Natur aus Dauerfresser und müssen daher ständig Raufutter zur Verfügung haben. Schon bei Leerzeiten von 4 Stunden steigt das Risiko für Magengeschwüre überproportional an.

Magenschmerzen machen Stress und können weitere Magengeschwüre zur Folge haben. Wird zu wenig Raufutter gegeben, besteht das Risiko für Magengeschwüre, stressbedingte Verhaltensauffälligkeiten wie Koppen, Weben, Krippenwetzen und es steigt das Aggressionsniveau in der Gruppe.

Dabei kommt es nicht nur auf die angebotene Menge an Heu an, sondern auch auf die Anzahl bzw. das Arrangement der Fressplätze. Man sagt, dass 10% mehr Fressplätze als Pferde zur Verfügung stehen sollten. Hat man aber eine sehr unverträgliche Gruppe oder eine, in der viel Wechsel herrscht, dann kann man davon ausgehen, dass man eher doppelt so viele Fressplätze wie Pferde haben sollte.

Ein Pferd droht einem andern Pferd
Es nimmt viel Stress aus der Gruppe, wenn mehrere Heu-Stationen angeboten werden. © Adobe Stock/Nadine Haase

Es nimmt viel Stress aus der Gruppe, wenn mehrere Heu-Stationen angeboten werden, z.B. zur Heuraufe noch einzelne Heunetze an verschiedenen Stellen aufgehängt werden oder Heuspielzeuge (Heubälle, Heutonnen, Heukisten…) angeboten werden. Die Pferde wechseln häufiger zwischen den Fress-Station, was für mehr Bewegung sorgt und unverträgliche Pferde können einen großen Abstand zwischen sich lassen.

Zu wenig eingestreute Liegefläche bedeuten Stress

In vielen Ställen ist es immer noch üblich, dass Pferde zwar einen Unterstand haben, dieser aber nicht eingestreut wird. Von Holzboden über Schotter bis Gummimatte wird den Pferden hier als „Liegefläche“ angeboten. Eine Untersuchung in der Schweiz hat einen direkten Zusammenhang zwischen eingestreuter Fläche und Stressverhalten aufgedeckt: Je weniger eingestreute Liegefläche (nicht überdachte oder mit Gummimatten ausgelegte! sondern tatsächlich polsternd und isolierend eingestreut mit Stroh oder Spänen), desto höher das Aggressionsniveau in einer Gruppe.

Stellt man mehr eingestreute Fläche zur Verfügung, so sinkt das Aggressionsniveau, auch wenn sonst nichts verändert wird. Aggression in der Gruppe macht Stress, der sorgt dafür, dass sich rangniedrige Tiere noch weniger hinlegen und durch Schlafmangel noch mehr Stress haben. Nicht ohne Grund haben wir immer mehr Pferde mit „Narkolepsie“ in den Ställen, also Pferde, die beim Dösen zusammenbrechen und teilweise stürzen. Diese Fälle treten besonders gehäuft in Offenställen auf und gehen oft einher mit fehlender oder zu kleiner eingestreuter Liegefläche, unruhiger und/oder unsozialer Gruppe und mit dem steigenden Alter der betroffenen Pferde (je älter desto rangniedriger sind die Pferde meist, desto mehr Stress haben sie vor allem bei zu hohem Pferdebesatz oder häufigem Wechsel in der Gruppe).

Ein guter Nachtschlaf ist also nicht nur für Menschen wichtig zur Regeneration! Lässt sich das Problem im Offenstall nicht lösen, dann sollte überlegt werden, betroffene Pferde wenigstens über Nacht in eine eingestreute Box zu stellen, damit sie Schlafen und damit Stress abbauen können.

Zu viele Pferde auf zu kleinem Raum

Gerade in Offenställen gilt oft die Devise „einer mehr oder weniger fällt nicht auf“. Pferde haben aber eine sehr große Individualdistanz, wenn sie mit dem anderen Pferd nicht eng befreundet sind. So halten Pferde normal einen Abstand von etwa 6-8 Meter bis zum nächsten Pferd, wenn sie dafür die Möglichkeit haben. Das geht meist bei Weidehaltung problemlos, aber nicht mehr in den Winterquartieren.

Ist die Gruppe dann nicht super harmonisch oder gibt es noch Störungen wie Zu- oder Weggang von Pferden, einen nicht souveränen (unsicheren oder prügelnden) Herdenchef oder viel Rangordnungs-Gerangel, dann ist der Stress schnell da und hört auch oft bis zum Beginn der Weidesaison nicht wieder auf.

Untersuchungen haben gezeigt, dass der Stress dramatisch ansteigt, je weniger Platz den Pferden zur Verfügung steht. Das sollte auch beachtet werden, wenn man Offenställe „strukturiert“ anlegt mit Baumstämmen, Trennwänden, Heuraufen etc.. Solche Elemente verlängern vielleicht Laufwege, verkleinern aber auch den Raum. Besser sollte man auf die Anlage von Paddock Trails setzen, weil der Trail nicht so viel Fläche verbraucht, aber den Pferden die Möglichkeit gibt, genügend Abstand zu halten. Natürlich nur, wenn auf dem Trail auch Fress-Stationen verteilt sind (s.o.).

Zu wenig Freilauf

Untersuchungen zu Stress an verschiedenen Tierarten kommen immer wieder zu dem Schluss, dass insbesondere Fluchttiere Stress am besten abbauen durch freie, schnelle Bewegung.

Das Pferd ist als Steppentier auf Bewegung optimiert: So laufen Wildpferde am Tag bis zu 50-60km auf der Nahrungssuche. Dabei handelt es sich meist um ruhige Bewegung im Schritt, aber auch ein spielerischer Galopp, Bocken oder Raufen mit anderen Pferden sind dazwischen.

Hengste und Wallache verbringen dabei deutlich mehr Zeit mit Spielen, Rennen und Raufen als Stuten. Daher sind nach Geschlechtern getrennte Gruppen meist deutlich harmonischer als gemischte Gruppen. Die Hengste und Wallache können ungestört spielen, die Stuten ihre Sozialkontakte pflegen. Beides baut jeweils Stress ab und ist in gemischten Gruppen so häufig nicht möglich.

Drei Pferde schauen über ihre Boxentüren
Insbesondere Fluchttiere bauen Stress am besten durch freie, schnelle Bewegung ab.© Adobe Stock/castenoid

Bei Pferden in Boxenhaltung oder auf zu kleinen Winterausläufen kann man immer wieder beobachten, dass ihr Stresslevel steigt und sie anfälliger werden, in Stress auslösenden Situationen über zu reagieren. Gibt man ihnen die Möglichkeit, sich regelmäßig mal frei „auzubuckeln“, sind sie zufriedener, leistungsfähiger und haben weit weniger Stress.

Wichtig ist hier der Freilauf: weder unter dem Reiter noch an der Longe kann das Pferd in der Form stress abbauen, wie es das beim freien Rennen und Buckeln tut. Daher bei geschlossener Schneedecke oder gefrorenen Böden ruhig mal auf der Weide rennen lassen, alternativ den Reitplatz oder die Halle so anlegen, dass die Pferde hier auch freilaufen können, wenn gerade niemand reitet.

Schmerzen

Pferde sind in der Natur potentielle Beutetiere für Räuber. Und als solche zeigen sie Schmerzen oft nicht oder kaum an, denn ein Pferd, das Schwäche zeigt, wird zur Beute. Je näher das Pferd noch am „Wildpferd“ ist genetisch, desto mehr verbergen sie ihre Probleme. Wo manch ein Warmblüter sich schon sterbenselend präsentiert, tut der Isländer immer noch, als ob nichts wäre.

Daher werden Schmerzzustände oft erst zu spät erkannt, vor allem wenn sie schleichend auftreten oder an inneren Organen bestehen. Sobald im Körper Schmerzen auftreten, sorgen sie aber für eine Stress-Reaktion, damit der Schmerz zumindest teilweise unterdrückt wird.

Ursachen für solche Schmerzen können vielfältig sein: Magengeschwüre, Darmprobleme wie Fehlgärungen und Aufgasungen, unerkannte Leber oder Nierenprobleme, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Trigeminus-Neuralgie, ein unpassender Sattel, unterschwellige Hufrehe oder Hufrolle, unpassender Beschlag, bohrende Sporen, falsch liegende Gebisse, harte Reiterhand, Reiten in Rollkur und so weiter.

Nur langsam fangen wir an zu verstehen, wie viele Schmerzen die Pferde eigentlich „wegstecken“, bevor wir sie erkennen. So besteht der Stress oft schon lange Zeit, wird aber erst erkannt, wenn er zu fortgeschrittenen Stoffwechselstörungen führt. Daher: achtsam sein im Umgang mit dem Pferd. Sie zeigen einem meist, was sie stört, aber wir hören allzuoft nicht hin.

Mehr dazu: Sanoanimal Podcast #22: Stress bei Pferden und Kotwasser durch Stress – Kann das sein?